Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
fröhlich meine Hochzeit gefeiert hätte!«
»Nun, Sie können das ja in Kürze nachholen. Nach drei Monaten hat Ihre Mutter sicher nichts dagegen, wenn Sie heiraten. Es sei denn, Sie wollen Ihre Braut nicht mehr.«
»Wissen Sie, was für Unsummen es mich gekostet hat, sie herbringen zu lassen?«, plusterte sich Jeremy auf. Marie ballte die Fäuste. Hielt er etwa auch nur noch an den Heiratsplänen fest, weil sie ihn Geld gekostet hatte?
»Sie hätten eine Frau aus der Gegend nehmen sollen«, fuhr Corrigan fort. »Meine Leute hätten Ihnen sicher eine Braut besorgt, mit der leichter auszukommen ist.«
Darauf schwieg Jeremy. Marie wusste nicht, was schlimmer war. Dass er ihre Ehe nur wollte, weil sie ihn etwas gekostet hatte, oder dass er zu Corrigans unverschämtem Vorschlag nichts sagte.
»Außerdem hat einer meiner Männer sie mit diesem Landstreicher gesehen. Wie war noch mal sein Name?« Nach einer Kunstpause setzte Corrigan hinzu: »Ah ja, Carter. Schade nur, dass die Tracht Prügel, die ihm einer meiner Leute verpasst hat, nichts gebracht hat. Ihre Verlobte hat ihm offenbar geholfen und ihm eine Stelle in der Schule verschafft.«
Marie biss sich auf die Hand, um nicht aufzuwimmern. Hatte dieser verdammte Bürgermeister eigentlich überall seine Augen und Ohren?
Anstatt sie zu verteidigen und dem Bürgermeister die Tür zu weisen, sagte Jeremy nur: »Ich werde mit ihr reden. Danach wird sie Ihnen nicht mehr in die Quere kommen, das verspreche ich Ihnen.«
»Gut. Es wäre doch ein Jammer gewesen, wenn sie den gleichen Weg gehen müsste wie die Cree.«
»Und was haben Sie mit den Cree im Sinn?«
»Ich werde ganz einfach dafür sorgen, dass keiner von ihnen mehr irgendwelche Schwierigkeiten macht. Lassen Sie das nur meine Sorge sein.«
Als Stühle über den Boden scharrten, löste sich Marie von der Hauswand. Ihr Herzschlag übertönte sämtliche Geräusche ringsherum. Was sollte sie tun? Einfach hineingehen, als wäre nichts gewesen?
Auf einmal kam ihr ein anderer Einfall. Sie musste Onawah warnen! Wenn Corrigan wirklich vorhatte, gegen die Cree vorzugehen, mussten sie erfahren, was auf sie zukam.
Doch wann sollte sie das tun? Und wie? Sollte sie noch einen ganzen Tag lang die ahnungslose Verlobte spielen? Würde Jeremy Corrigans Forderung schon heute Abend in die Tat umsetzen?
Maries heftiges innerliches Ringen wurde vom Klappen einer Tür unterbrochen. Corrigan kam nach draußen!
Flink huschte sie um die Ecke, eilte zum Nachbarhaus und versteckte sich dahinter. Dass sich der Nachbarshund wütend in seine Kette warf, ignorierte sie, während sie vorsichtig um die Ecke spähte.
Jeremy trat zusammen mit Corrigan vor die Haustür, die sie von hier aus gut im Blick hatte. Die beiden reichten sich die Hand, dann zog der Bürgermeister zufrieden von dannen.
Marie schmiegte sich an die Steine hinter ihr. Tränen stiegen ihr in die Augen. Dass Jeremy sie nicht liebte, machte ihr nichts aus, schließlich empfand auch sie keine Liebe für ihn. Doch dass er dem Bürgermeister so bereitwillig helfen wollte, Menschen zu vertreiben und womöglich zu töten – das war zu viel für sie.
Nachdem sie eine Weile ins Leere gestarrt hatte, fasste sie einen Entschluss. Die Blicke der wenigen Passanten auf Selkirks Hauptstraße ignorierend, stürmte sie mit hochgerafftem Rock den Sidewalk entlang. Stellas anklagende Stimme saß ihr dabei im Nacken, doch diesmal stand ihr Entschluss fest: Sie würde nicht tun, was von ihr erwartet wurde, sondern was ihr Gewissen von ihr verlangte.
Als sie am Schulhaus ankam, war sie völlig außer Atem. Mit zitternden Händen schloss sie auf, dann lief sie auf Zehenspitzen zu Philipps Zimmer. Im Obergeschoss hörte sie Mrs Isbel in der Küche rumoren und spielte einen Moment lang mit dem Gedanken, sie einzuweihen. Doch noch vor der Treppe verwarf sie ihr Vorhaben wieder. Nur Carter konnte sie wirklich verstehen, sonst niemand.
Vor Philipps Tür blieb sie stehen und klopfte so sanft wie möglich. Der Mann starrte sie verwirrt an, als er öffnete.
»Marie, was machst du denn hier?«
»Philipp, ich brauche deine Hilfe.«
»Hat dich wieder jemand angegriffen?«
Marie schüttelte den Kopf. »Als ich ins Haus gehen wollte, war Corrigan bei Jeremy. Sie haben über die Eisenbahnbaupläne gesprochen. Jeremy will sich dabei zu Corrigans willfährigem Werkzeug machen lassen.«
»Etwas anderes habe ich beinahe nicht erwartet nach allem, was du mir von ihm erzählt hast.«
»Wir müssen
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