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Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Bouvier
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Schale an den Mund. Ein warmer Kräutersud füllte ihren Mund.
    »Wo bin ich hier?«, fragte Marie, nachdem sie die bitter schmeckende Mixtur hinuntergeschluckt hatte. »Das ist keine Stadt, nicht wahr?«
    Die Heilerin sah sie zunächst an, als hätte sie nicht verstanden. Als Marie ihre Frage wiederholen wollte, sagte sie: »Du bist bei meinem Stamm. Wir nennen uns Cree.«
    Von einem derartigen Stamm hatte sie noch nichts gehört.
    »Und wo habt ihr euer Lager aufgeschlagen?«
    »Die Weißen nennen diesen See Quill Lake. Wir schon eine Weile hier, sehr gutes Land und viele Tiere zu jagen.«
    Sie befand sich in einem Indianerlager, mitten in der Wildnis! Nachdem sich ihre erste Panik wieder gelegt hatte, schoss Marie eine Frage nach der anderen durch den Kopf. Was war mit Ella und den anderen Frauen? Was mit Angus Johnston und seinen Jungs?
    Als der Überfall ihr wieder in den Sinn kam, schlug Marie die Hand vor den Mund. Nun erinnerte sie sich auch wieder, dass sie vom Wagen gefallen war, als dieser über Stock und Stein vor den Banditen geflohen war.
    »Sind hier noch mehr Frauen?«, platzte sie heraus, während ihr Mund plötzlich trocken wurde, als hätte sie Löschpapier gegessen.
    »Natürlich sind hier mehr Frauen!«, antwortete Onawah verwundert. »Viele Frauen leben bei Cree.«
    »Ich meine Frauen wie mich!«, präzisierte Marie, als sie spürte, dass die Heilerin sie falsch verstanden hatte. »Weiße Frauen!«
    Onawah stellte die Schale ab und griff an ihre Stirn. »Der Fiebergeist ist noch immer in dir. Du musst viel ruhen.«
    »Nein, es ist nicht das Fieber!«, protestierte Marie. »Bei mir waren noch andere Frauen. Wir waren auf einem Treck in Richtung Westen, als wir überfallen wurden.«
    Die Heilerin bemühte sich um eine gütige Miene. »Hier ist keine andere weiße Frau, nur du.«
    »Und Männer? Weiße Männer?«
    Das Pochen ihres Herzens verursachte ihr auf einmal starke Kopfschmerzen. Übelkeit spülte bitteren Speichel in ihren Mund, und vor ihren Augen begann es zu flackern. Stöhnend ließ sie sich wieder auf ihr Lager sinken.
    »Keine weißen Männer. Keine lebenden. Unsere Krieger haben tote Männer gefunden, einige Meilen von hier. Sie haben sie verbrannt, damit die Wölfe sie nicht fressen.«
    Während sie diese Worte wie aus weiter Ferne vernahm, fragte sich Marie, ob Johnston unter den Toten war. Dann zerrte die Dunkelheit sie wieder fort.
    Bei ihrem nächsten Erwachen war es Nacht. Warmer Feuerschein fiel auf ihr Gesicht, während der Geruch nach verbranntem Holz und Kräutern sie aus der Finsternis fortzerrte. Der Gesang, der das Zelt erfüllte, wirkte auf fremdartige Weise anziehend. Als sie es schaffte, den Kopf ein wenig zu heben, beobachtete sie Onawah, die vor der kleinen Feuerstelle saß und immer wieder Zweige in die Flammen schlug. Die dabei aufstiebenden Funken wurden vom Luftzug in die Höhe getragen und verglommen, bevor sie der Zeltplane gefährlich werden konnten.
    Beunruhigung und gleichzeitig Neugierde erfassten Marie. Wurde sie gerade Zeugin eines heidnischen Rituals? Welchen Sinn sollte das haben? Wollte Onawah böse Geister vertreiben? Immerhin hatte sie von einem Fiebergeist gesprochen.
    Unsinn, es gibt keine Geister, versuchte sie sich zu beruhigen. Doch ihr Herz pochte weiterhin heftig, und eine Gänsehaut überlief ihren Körper.
    Das ist nur das Fieber. Vielleicht träume ich das alles nur.
    Als ihr klar wurde, dass alles, was sie sah, der Realität entsprach, beendete die Heilerin das Ritual bereits wieder. Sie legte den angekohlten Zweig in die Feuerstelle, wo sich die Flammen gierig darüber hermachten. Dann erhob sie sich, nahm die Tierhaut, die sie um die Schultern gelegt hatte, wieder ab und hängte sie sorgfältig auf ein anscheinend dafür vorgesehenes Gestell. Kurz darauf löschte sie das kleine Feuer und begab sich ebenfalls zur Ruhe.
    In den folgenden Tagen schritt Maries Genesung rasch voran. Beinah schien es, als hätte das Ritual Wirkung gezeigt. Die Schwäche, die Marie noch zwei weitere Tage an ihr Lager gefesselt hatte, verschwand, die Übelkeitsattacken blieben aus. Auch der Kopfschmerz, der ihr so sehr zusetzte, wurde allmählich besser. Bereits eine Woche nach ihrem Erwachen im Lager der Cree bekam Marie von Onawah die Erlaubnis aufzustehen.
    Dass sie nach den Tagen des Liegens so wacklig auf den Beinen sein würde, hätte Marie allerdings nicht erwartet. Ihre Knie erschienen ihr weich wie Butter, und nur ein beherzter Griff in die Zeltplane

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