Das Lied der weißen Wölfin: Kanada-Roman (German Edition)
ein Wiedersehen, Miss Blumfeld! Vielleicht treffen wir uns mal in der Stadt.« Philipp Carter tippte sich an die Hutkrempe und saß dann wieder auf. Noch einmal lächelte er ihr zu, dann trieb er sein Pferd an.
»Ich freue mich darauf«, entgegnete Marie, wohl wissend, dass er es nicht mehr hören würde.
Als sie Carter in der Menschenmenge nicht mehr ausmachen konnte, wandte sich Marie mit ihrem kleinen Bündel über der Schulter ein paar Passanten zu, die sich auf dem Sidewalk unterhielten.
»Entschuldigen Sie, wissen Sie, wo ich Reverend Plummer finden kann?«
Nachdem die erstaunten Blicke vergangen waren, antwortete eine der Frauen: »Der ist natürlich um diese Zeit in der Kirche. Oder Sie gehen gleich zum Pfarrhaus. Es ist in der Creek Lane, nur zwei Straßen von hier entfernt.« Sie deutete auf die Straßenecke, an der Marie abbiegen sollte.
»Haben Sie vielen Dank!«
Als Marie ihren Weg fortsetzte, hätte sie schwören können, dass die Leute ihre Köpfe zusammensteckten. Hatten sie sie wiedererkannt?
Vergeblich suchte sie auf ihrem Weg durch die kleine Gasse nach dem Steckbrief, den Carter ihr gezeigt hatte. Wahrscheinlich war es schon zu lange her, und der Wind hatte die morschen Zettel abgerissen. Dass sie gerettet worden war, hatte sie dem Zufall zu verdanken – und dem guten Gedächtnis von Philipp Carter, der sie wiedererkannt hatte. In diesem Mann steckte wirklich mehr als ein einfacher Soldat.
Nachdem sie erneut nachgefragt hatte, tauchte die Kirche schließlich vor ihr auf. Das aus Holz errichtete, weiß gestrichene Gebäude wirkte im Gegensatz zu den meisten, etwas provisorisch wirkenden Gebäuden recht fest. Einen Turm hatte die Kirche zwar nicht, dafür einen Glockenstuhl, der aber ebenfalls noch sehr behelfsmäßig wirkte.
Durch den spärlich wachsenden Rasen verlief ein Weg, der sich in der Mitte gabelte. Ein Abzweig führte direkt zum Kirchenportal, der andere zum neu errichteten Pfarrhaus, das sich in den Schatten der Kirche duckte. Mit den Rosen, die noch etwas spärlich an den Wänden und am Zaun emporrankten, sah das Gebäude fast ein wenig aus wie ein englisches Cottage.
Da sie sicher war, dass sich der Reverend um diese Uhrzeit nicht zu Hause befinden wurde, schlug sie den Weg zur Kirche ein, aus der ihr leises Orgelspiel entgegentönte. Spielte Jeremy selbst? Ihr Vater hatte es gekonnt, aber nur selten von seinem Können Gebrauch gemacht. Ein mürrischer Mann mit kalten Augen, vor dem sich Marie als Kind immer gefürchtet hatte, hatte das Amt des Organisten innegehabt. Obwohl er schweigsam war und nie ein schlechtes Wort fallen ließ, war er doch der Grund, warum sich Marie bei Gottesdiensten immer so auf die Bank gesetzt hatte, dass Luises Körper ihn verdeckte.
Beim Eintreten fiel ihr erster Blick auf die Orgel hinter dem Altar, doch vor dieser saß eine Frau. Die Organistin, die schätzungsweise Anfang sechzig war, hielt inne, als sie Marie sah. »Was kann ich für Sie tun, meine Liebe?«
»Ich suche Reverend Plummer«, antwortete Marie. Als sie sich vorstellte, riss die Frau die Augen weit auf. Mit einer Schnelligkeit, die man ihr angesichts ihrer Leibesfülle gar nicht zugetraut hätte, fuhr sie von ihrer Orgelbank hoch.
»Du meine Güte, das gibt es doch nicht! Sie sind die Braut des Reverends! Wir dachten schon, sie wären tot!«
Marie lächelte sie gerührt an, als die Frau mit Tränen in den Augen auf sie zukam und ihre Hände ergriff. »Wochenlang hat er gewartet, und wie verzweifelt er war! Schließlich hat er sogar diesen Steckbrief rausgegeben.«
»Mit meinem Foto, ich weiß«, entgegnete Marie.
»Dann sind Sie von irgendwem gefunden worden? Oder haben es selbst gesehen?«
»Pelzhändler haben mich erkannt und mitgenommen. Ich bin gerade in der Stadt angekommen.«
»Oh, dem Himmel sei Dank!« Die Frau drückte ihre Hände noch einmal kräftig, bevor sie Marie losließ und dann hinter einer Tür unter der Empore verschwand.
Erfreut über diesen herzlichen Empfang ließ Marie den Blick an den weiß gestrichenen Sitzbänken und dem Altar entlangstreifen. Diese Kirche hatte auch innerlich nichts mit den Kirchen ihrer Heimat zu tun, die meist dunkle Steingemäuer mit bunten Glasfenstern waren, von denen man kaum glauben konnte, dass sich Gott hier wohlfühlen würde.
Nach wenigen Minuten erschien die Organistin wieder. Im Schlepptau hatte sie einen Mann, den Marie auf Ende dreißig schätzte. Sein braunes Haar war ordentlich gekämmt, und sein Körper wirkte
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