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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeline Miller
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lassen. Ich sah es fast bildlich vor mir.
    Ihre Lippen berührten plötzlich meine. Ich war so überrascht, dass ich mich nicht rührte. Ihr Mund war weich und ein wenig zögerlich, die Augen hatte sie geschlossen. Ich erwiderte ihren Kuss und überließ mich, von Blütenduft umweht, dem Zauber des Moments. Dann rückte sie, den Blick gesenkt, von mir ab. Mir rauschte das Blut in den Ohren, doch was es in Wallung versetzte, war nicht so sehr das Verlangen, wie es Achill in mir auslöste, als vielmehr meine Sorge, ihr womöglich wehzutun. Ich legte meine Hand in ihre.
    Sie ahnte es, spürte es an der Art, wie ich ihre Hand ergriff und ihr in die Augen sah. »Es tut mir leid«, flüsterte sie.
    Ich schüttelte den Kopf, wusste aber nicht, was ich sagen sollte.
    Sie hob die Schultern an wie zusammengefaltete Flügel. »Ich weiß, dass du ihn liebst«, sagte sie stockend. »Ich weiß es. Aber ich dachte – manche Männer haben Frauen und trotzdem auch Geliebte.«
    Ihr Gesicht sah so traurig aus, dass ich nicht länger schweigen konnte.
    »Brisëis«, sagte ich. »Wenn ich jemals mit einer Frau zusammen sein möchte, dann nur mit dir.«
    »Aber du möchtest mit keiner Frau zusammen sein.«
    »So ist es«, sagte ich möglichst schonend.
    Sie nickte und schaute wieder zu Boden. Ich konnte hören, dass ihr Atem ein wenig zitterte.
    »Tut mir leid«, sagte ich.
    »Willst du denn nie Kinder haben?«
    Die Frage überraschte mich. Ich kam mir doch selbst vor wie ein Kind, obwohl die meisten Männer meines Alters längst Väter waren.
    »Ich wäre wohl kein guter Vater«, erwiderte ich.
    »Das glaube ich nicht.«
    »Ich weiß es nicht«, entgegnete ich. »Du etwa?«
    Was ich einfach so dahergesagt hatte, schien sie tief zu berühren. Sie zögerte. »Vielleicht.« Und plötzlich wurde mir bewusst, was sie mir eigentlich hatte sagen wollen. Ich schämte mich für meine Gedankenlosigkeit und errötete. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Vielleicht um ihr zu danken.
    Aber sie war schon aufgestanden und glättete ihr Kleid »Gehen wir?«
    Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen.
    In dieser Nacht fand ich keine Ruhe. Unablässig gingen mir Brisëis und mein Kind durch den Kopf. Ich sah kleine mollige Beinchen, dunkle Haare und die großen Augen der Mutter. Ich sah uns, Brisëis und mich, mit dem Kind am Feuer hocken, das mit einem von mir geschnitzten Holzstück spielte. Und doch war dieser Szene eine seltsame Leere eigen, eine schmerzende Abwesenheit. Wo war Achill? Tot? Oder hatte er nie existiert? Ein solches Leben mochte ich nicht führen. Aber Brisëis hat mich auch nicht darum gebeten . Sie hatte mir dies alles in Aussicht gestellt, sich, das Kind und auch Achill.
    Ich drehte mich zur Seite und schaute ihn an. »Hast du je daran gedacht, Kinder in die Welt zu setzen?«, fragte ich.
    Er hatte die Augen geschlossen, schlief aber nicht. »Ich habe ein Kind«, antwortete er.
    Es versetzte mir einen Stich, sooft ich daran erinnert wurde. An sein Kind mit Deidameia. Einen Jungen mit Namen Neoptolemos – Neuer Krieg –, wie er von Thetis wusste. Genannt wurde er Pyrrhos wegen seiner feuerroten Haare. An ihn, diesen fernab lebenden Sohn von Achill, zu denken beunruhigte mich. »Sieht er dir ähnlich?«, hatte ich schon einmal gefragt. Achill hatte mit den Achseln gezuckt. »Danach habe ich nicht gefragt.«
    »Möchtest du ihn sehen?«
    Achill schüttelte den Kopf. »Es ist gut, dass meine Mutter ihn aufzieht. Bei ihr hat er es besser.«
    Daran zweifelte ich, behielt meinen Gedanken jedoch für mich. Ich wartete einen Moment für den Fall, dass er mich fragen wollte, ob ich mir ein Kind wünschte. Aber das tat er nicht. Ich hörte seinem Atem an, dass er eingeschlafen war. Er schlief immer vor mir ein.
    »Achill?«
    »Mmmm?«
    »Magst du Brisëis?«
    Er krauste die Stirn, hielt aber die Augen geschlossen. »Mögen?«
    »Ob du dich an ihr erfreust«, sagte ich. »Du weißt, was ich meine.«
    Er schlug die Augen auf und schien erschrocken. »Was hat das mit Kindern zu tun?«
    »Nichts«, log ich.
    »Wünscht sie sich ein Kind?«
    »Kann sein.«
    »Von mir?«, fragte er.
    »Nein.«
    »Gut.« Die Lider fielen ihm wieder zu. Als ich glaubte, dass er wieder eingeschlafen war, sagte er: »Von dir. Sie will ein Kind mit dir.«
    Mein Schweigen bestätigte ihn. Er richtete sich auf und ließ das Laken von der Brust gleiten. »Ist sie schwanger?«, fragte er.
    So gereizt hatte ich seine Stimme noch nie gehört.
    »Nein«, sagte

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