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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeline Miller
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zwei, drei Tagen hatten jeder Verband, jeder König hohe Verluste zu beklagen. Während wir Augenlid um Augenlid schlossen, fiel uns auf, dass sich unter den Opfern kein einziger Fürst befand. Es starben ausschließlich Soldaten und geringere Edelmänner. Verschont blieben auch Frauen, wie wir bemerkten. Es beschlich uns ein Verdacht, denn es konnte nicht mit rechten Dingen zugehen, dass ein Mann nach dem anderen plötzlich verschied, mit einem Schrei auf den Lippen und die Hände an die Brust gepresst, als hätte ihn ein Pfeil hingerafft.
    Es war in der neunten Nacht. Nachdem wir wieder etliche Leichen verbrannt hatten, standen wir erschöpft vor unserem Zelt und streiften unsere von Blut und Eiter verschmierten Kleider ab, um auch sie ins Feuer zu werfen. Unser Verdacht hatte sich hundertfach erhärtet. Dies war keine natürliche Plage, nicht die schleichende Verbreitung einer gefährlichen Seuche, sondern etwas anderes, das uns so unvermittelt heimsuchte wie damals die ausbleibenden Winde vor Aulis. Die Katastrophe ließ sich nur damit erklären, dass ein Gott grollte.
    Wir erinnerten uns an Chryses und seine gerechtfertigte Empörung über Agamemnon, der sich wider alle Gebräuche und Regeln geweigert hatte, die Gefangene auszulösen. Und wir erinnerten uns daran, welchem Gott der Priester diente, nämlich dem des Lichts, der Heilkunst und der Seuche.
    Später in der Nacht – der Mond stand hoch über dem Lager – verließ Achill das Zelt. Als er zurückkehrte, haftete ihm der Geruch des Meeres an.
    »Was hat sie gesagt?«, fragte ich und richtete mich im Bett auf.
    »Sie hat unseren Verdacht bestätigt.«
    Am zehnten Tag der Pest marschierten wir mit den Myrmidonen über den Strand zur Agora hin. Achill bestieg das Podest und rief durch den Trichter seiner Hände, damit seine Stimme weit über das Lager trug. Das fauchende Feuer, die schluchzenden Frauen und das Ächzen der Sterbenden übertönend, rief er alle herbei.
    Langsam und ängstlich näherten sich Männer von allen Seiten. Sie waren bleich und wirkten gehetzt, voller Angst vor den Pestpfeilen, die in die Brust sanken wie ein Stein ins Wasser. Achill war in voller Rüstung und hatte sein Schwert umgelegt. Seine Haare glänzten wie feuchte helle Bronze. Dass ein anderer als der oberste Heeresführer eine Versammlung einberief, war zwar nicht verboten, in unseren zehn Jahren vor Troja dennoch nie geschehen.
    Agamemnon bahnte sich mit seinen Leibwachen einen Weg durch die Menge und bestieg das Podest. »Was hat das zu bedeuten?«, blaffte er.
    Achill grüßte ihn höflich. »Ich habe die Männer kommen lassen, um mit ihnen über die Seuche zu reden. Gestattest du, dass ich das Wort an sie richte?«
    Agamemnon hatte die Schultern eingezogen. Er war wütend und gleichzeitig beschämt, hätte er sich in dieser Sache doch schon längst selbst an das Heer wenden müssen. Dass Achill ihm zuvorkam, konnte er ihm nun nicht zum Vorwurf machen, schon gar nicht vor den Augen und Ohren der anderen. Der Unterschied zwischen beiden hätte nicht auffälliger sein können: Achill war entspannt und beherrscht; seine strahlende Erscheinung machte das Elend ringsum vergessen. Dem Mykener dagegen stand die Not ins Gesicht geschrieben.
    Achill wartete, bis alle versammelt waren, Könige wie einfache Fußsoldaten. Er trat vor und lächelte. »Könige«, sagte er, »Fürsten, Männer Griechenlands, wie können wir Krieg führen, solange diese Seuche grassiert? Es wird höchste Zeit, dass wir erfahren, womit wir den Zorn eines Gottes auf uns gezogen haben.«
    Die Männer tuschelten aufgeregt miteinander. Auch sie hatten die Götter in Verdacht. Kam nicht alles von ihnen, Gutes wie Böses? Achill so offen darüber reden zu hören, erleichterte sie. Seine Mutter war eine Göttin; er musste es wissen.
    Agamemnon bleckte die Zähne. Er rückte so dicht an Achill heran, dass es schien, als wollte er ihn vom Podest drängen. Achill achtete nicht auf ihn. »Wir haben einen Priester unter uns, einen Mann, der den Göttern nahesteht. Ich schlage vor, wir hören ihn an.«
    Aus zahllosen Kehlen tönte hoffnungsfrohe Zustimmung. Ich hörte aber auch Metall knirschen und sah, wie Agamemnon nervös die Hände rang, die in gepanzerten Handschuhen steckten.
    Achill wandte sich ihm zu. »Das war doch auch deine Empfehlung, Agamemnon, nicht wahr?«
    Agamemnon kniff die Augen zu kleinen Schlitzen zusammen. Er misstraute großzügigen Gesten; er misstraute allem und jedem und wähnte sich auch

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