Das Lied des Achill
um sich zu wehren, und schien nicht zu wissen, wie ihr geschah. Agamemnon zog etwas hinter seinem Gürtel hervor. Es blitzte, vom Sonnenlicht getroffen, als er es in die Höhe hob.
Die Messerspitze durchstach ihren Hals. Blut spritzte und strömte über den Altar. Würgend versuchte sie zu sprechen, brachte aber keinen Laut hervor. Sie wand sich unter den Qualen und zuckte am ganzen Körper, doch die Hände des Königs hielten sie gepackt. Ihr Widerstand wurde schwächer, bis sie sich schließlich nicht mehr rührte.
Agamemnons Hände waren voller Blut. Er sprach in die Stille hinein: »Der Göttin ist nun Genüge getan.«
Die Luft schmeckte nach Eisen und Salz. Todesgeruch breitete sich aus. Menschen zu opfern war eine Abscheulichkeit und als solche schon lange aus unseren Ländern verbannt. Doch er hatte seine eigene Tochter geopfert. Wir waren entsetzt, voller Wut und Gewaltbereitschaft.
Ehe wir uns jedoch besinnen konnten, streifte etwas unsere Wangen. Wir hielten inne. Da war er wieder, sanft und kühl und mit dem Duft des Meeres erfüllt. Ein Raunen ging durch die Menschenmenge. Wind. Der Wind frischt auf . Die allgemeine Anspannung löste sich. Der Göttin ist Genüge getan .
Achill stand wie angewurzelt auf dem Podest. Ich nahm ihn beim Arm und führte ihn durch die Menge zu unserem Zelt. Er schaute mit wilden Blicken umher, das bleiche Gesicht blutbespritzt. Ich versuchte, es mit einem Tuch zu säubern, doch er hielt meine Hand fest. »Ich hätte sie aufhalten können«, sagte er mit heiserer Stimme. »Ich war nahe genug und hätte sie retten können.«
Ich schüttelte den Kopf. »Damit konnte niemand rechnen.«
Er vergrub das Gesicht in den Händen und schwieg. Ich nahm ihn in die Arme und flüsterte Worte, von denen ich hoffte, dass sie ihn trösteten.
Nachdem er seine Hände gewaschen und die Kleider gewechselt hatte, rief Agamemnon uns auf die Agora zurück. Artemis, sagte er, sei mit unseren Kriegsplänen nicht einverstanden gewesen und habe eine Art Vorauszahlung gefordert. Tieropfer seien diesmal nicht genug. Sie habe Menschenblut gegen Menschenblut verlangt, eine jungfräuliche Priesterin, und als solche sei nur die älteste Tochter des Anführers in Frage gekommen.
Er behauptete, Iphigenie sei darüber aufgeklärt worden und habe sich freiwillig ihrem Schicksal gefügt. Die meisten Männer hatten aus der Entfernung das Entsetzen in ihren Augen nicht sehen können. Sie glaubten den Worten ihres Anführers gern.
Auf Scheiten von Zypressenholz, geschlagen aus dem Baum unserer finstersten Götter, wurde ihr Leichnam noch in derselben Nacht verbrannt. Agamemnon bewilligte zur Feier hundert Fässer Wein. In unser Zelt zurückgekehrt, schlief Achill, erschöpft, wie er war, mit dem Kopf auf meinem Schoß ein. Ich streichelte seine Stirn und sah sein Gesicht im Traum zucken. In der Ecke lag sein von Blut besudelter Leibrock, bei seinem Anblick schnürte sich mir die Kehle zu. Vorsichtig hob ich seinen Kopf von meinem Schoß und stand auf.
Draußen betranken sich die Männer und sangen grölend. Am Strand brannte noch das Zypressenfeuer, geschürt vom Wind. Ich durchquerte das Lager mit einem festen Ziel vor Augen.
Die Wachen vor seinem Zelt lagen am Boden und dösten vor sich hin. Einer der Männer schreckte auf und fragte: »Wer bist du?« Ich ging an ihm vorbei und stieß die Einstiegsplane des Zelts beiseite.
Odysseus drehte sich um. Er stand vor einem kleinen Tisch, den Finger auf eine Karte gelegt. Auf dem Teller daneben befanden sich noch Essensreste.
»Willkommen Patroklos. Schon gut, ich kenne ihn«, fügte er mit Blick auf den Wachposten hinzu, der mich zurückzuhalten versuchte. Er wartete, bis der Mann gegangen war. »Ich habe mir gedacht, dass du vielleicht kommst.«
Ich gab einen verächtlichen Laut von mir. »Das kann man immer sagen.«
Er schmunzelte. »Nimm irgendwo Platz. Ich habe noch nicht zu Ende gegessen.«
»Du hast den Mord an ihr zugelassen.« Ich spuckte die Worte aus.
Er rückte sich einen Stuhl zurecht. »Glaubst du etwa, ich hätte es verhindern können?«
»Du hättest es verhindert, wenn es deine Tochter gewesen wäre.« Ich blickte ihn mit wütend funkelnden Augen an.
»Ich habe keine Tochter.« Er riss einen Brocken vom Brotlaib ab, tunkte ihn in die Soße und aß.
»Und was, wenn es deine Frau gewesen wäre?«
Er blickte zu mir auf. »Was willst du von mir hören? Dass ich es nicht getan hätte?«
»Ja.«
»Ich hätte es nicht getan. Aber vielleicht
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