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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeline Miller
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Odysseus, entspannt und anscheinend unbeeindruckt wie immer.
    Agamemnon räuspert sich. »Prinz Achill. Ich habe dich rufen lassen, weil ich dir etwas vorschlagen möchte. Vielleicht weißt du, dass –« Er stockt und räuspert sich erneut. »Ich habe eine Tochter, Iphigenie. Ich würde sie dir gern zur Frau geben.«
    Wir starren ihn an. Achill öffnet seinen Mund und schließt ihn wieder.
    Odysseus schaltet sich ein: »Agamemnon erweist dir damit eine große Ehre, Prinz von Phthia.«
    »Das weiß ich zu schätzen«, stammelt Achill. Selten war er so in Verlegenheit. Er wirft einen Blick auf Odysseus, und ich ahne, was er denkt: Was ist mit Deidameia? Achill ist bereits verheiratet, was Odysseus sehr wohl weiß.
    Doch der König von Ithaka deutet ein kaum merkliches Kopfnicken an, das Agamemnon nicht bemerkt. Wir sollen so tun, als gäbe es die Prinzessin von Skyros nicht.
    »Dein Vorschlag ehrt mich«, sagt Achill zögerlich. Sein Blick streift meinen.
    Odysseus entgeht es nicht. »Leider werdet ihr nur eine Nacht miteinander verbringen können, da sie gleich wieder abreisen muss. Aber natürlich kann in einer Nacht sehr viel passieren.« Er schmunzelt. Als Einziger.
    »Ich glaube, eine Vermählung wäre genau das Richtige.« Agamemnons Worte kommen schleppend. »Für unsere Familien und für alle Menschen.« Er vermeidet es, uns anzusehen.
    Achill wartet auf meine Reaktion. Er wird nein sagen, wenn ich es wünsche. Mich beschleicht Eifersucht, aber nur ein wenig. Es ist nur für eine Nacht , denke ich. Er gewinnt dadurch an Rang und Namen und kann mit Agamemnon Frieden schließen. Sonst hat es nichts zu bedeuten . Nun nicke auch ich kaum merklich.
    Achill streckt die Hand aus. »Ich nehme deinen Vorschlag an, Agamemnon, und bin stolz darauf, dich zum Schwiegervater zu haben.«
    Agamemnon schlägt ein. Ich schaue ihm in die Augen. Sie sind kalt und fast traurig. Später werde ich mich daran erinnern.
    Er räuspert sich ein drittes Mal. »Iphigenie«, sagt er, »ist ein gutes Mädchen.«
    »Daran zweifle ich nicht«, entgegnet Achill. »Ich werde mich als ihr Gatte glücklich schätzen dürfen.«
    Agamemnon nickt und entlässt uns. Iphigenie . Ein anmutiger Name, der wie Ziegenhufe auf Felsen klingt, beschwingt und heiter.
    Ein paar Tage später traf sie im Lager ein, begleitet von einer Eskorte streng dreinblickender Mykener, die für den Krieg zu alt waren. Als ihr Wagen über die steinerne Rampe holperte, strömte eine Unmenge von Soldaten herbei. Sie hatten schon wochenlang keine Frau mehr gesehen und weideten sich an ihrem Anblick, dem schlanken Hals, den blanken Fesseln und den zierlichen Händen, mit denen sie ihr Brautgewand glatt strich. Ihre braunen Augen leuchteten vor Begeisterung. Sie war gekommen, um den besten aller Griechen zu heiraten.
    Die feierliche Vermählung sollte vor dem Altar auf der Agora stattfinden. Der Wagen rollte herbei, durch die Gasse gaffender Männer. Agamemnon stand auf dem Podest, flankiert von Odysseus und Diomedes. Auch Kalchas war anwesend. Achill wartete, wie es sich für den Bräutigam gehörte, am Rand des Podiums.
    Iphigenie verließ ihren Wagen und bestieg das Podest. Sie war sehr jung, noch keine vierzehn, und obwohl sie eine priesterlich würdevolle Haltung annahm, verriet sie kindlichen Eifer. Sie warf sich ihrem Vater an die Brust und fuhr ihm mit den Händen durch die Haare, flüsterte ihm etwas zu und lachte. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, wohl aber seine Hände, die sich um die schlanken Schultern der Tochter zu klammern schienen.
    Odysseus und Diomedes traten lächelnd vor und verbeugten sich. Sie nahm ihren Gruß anmutig entgegen, zeigte sich aber ungeduldig und suchte mit ihren Blicken den versprochenen Gemahl. Er war leicht auszumachen an seinen golden glänzenden Haaren. Sie lächelte angetan von dem, was sie sah.
    Als sich ihre Blicke begegneten, trat Achill auf sie zu. Er stand jetzt unmittelbar am Rand des Podests, nur eine Armeslänge von ihr entfernt. Ich sah, wie er zögernd seine Hände ausstreckte, um ihre zu berühren, die wie Elfenbein schimmerten.
    Plötzlich geriet das Mädchen ins Wanken. Ich erinnere mich an Achills verstörten Ausdruck und seinen Versuch, sie zu stützen.
    Doch sie stürzte nicht. Sie wurde weggezerrt, zum Altar vor ihr. Diomedes war, von niemandem bemerkt, nach vorn gesprungen. Er hatte sie ergriffen, hielt seine wuchtige Hand auf ihre zarten Schlüsselbeine gepresst und zwang sie auf den Opferstein. Sie war zu entsetzt,

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