Das Lied des Achill
ist das der Grund, warum Agamemnon König von Mykene ist und ich bloß über Ithaka herrsche.«
Seine Unbekümmertheit machte mich rasend.
»Du hast dich mitschuldig gemacht an ihrem Tod.«
Er verzog den Mund. »Ich fürchte, da überschätzt du mich. Ich bin nur ein Berater, Patroklos. Mehr nicht.«
»Du hast uns belogen.«
»Was die Vermählung angeht? Ja. Nur so war Klytämnestra zu bewegen, das Mädchen zu uns zu schicken.« Die Mutter, zu Hause in Argos . Mir schwirrten Fragen durch den Kopf, doch ich wollte mich von meiner Wut nicht abbringen lassen. Ich stach mit dem Finger in die Luft.
»Du hast ihn entehrt.« Daran hatte Achill noch gar nicht gedacht vor lauter Trauer um das Mädchen. Ich hingegen schon. Der Verrat an ihr warf einen Schatten auf ihn.
Odysseus winkte ab. »Die Männer haben längst vergessen, dass er eine Rolle in diesem Schauspiel spielte. Sie haben es in dem Moment vergessen, als das Blut des Mädchens floss.«
»Du machst es dir leicht.«
Er schenkte sich einen Becher Wein ein und trank. »Du grollst nicht ohne Grund. Aber warum gegen mich? Ich habe weder das Messer geführt noch das Mädchen gehalten.«
»Sein ganzes Gesicht war voller Blut«, zischte ich. »Kannst du dir vorstellen, wie er sich gefühlt haben muss?«
»Es grämt ihn, dass er ihr nicht helfen konnte.«
»Natürlich«, blaffte ich. »Er konnte kaum sprechen.«
Odysseus zuckte mit den Schultern. »Er hat ein weiches Herz, und das ehrt ihn. Vielleicht erleichtert es sein Gewissen, wenn du ihm sagst, dass ich ihn mit Absicht dort platziert habe, wo er stand. Er hätte es in jedem Fall zu spät gesehen.«
Ich verachtete ihn so sehr, dass ich keine Worte fand.
Er beugte sich auf seinem Stuhl vor. »Darf ich dir einen Rat geben? Wenn du ihm ein guter Freund sein möchtest, sorg dafür, dass er sein weiches Herz hinter sich zurücklässt. Er fährt nach Troja, um Männer zu töten, nicht um sie zu retten.« Seine dunklen Augen schlugen mich in ihren Bann. »Er ist eine Waffe, ein Totschläger. Vergiss das nicht. Man kann einen Speer als Wanderstab nutzen, aber das ändert nichts an seiner Natur.«
Mir verschlug es den Atem. Ich fing zu stottern an. »Er ist kein –«
»Doch. Die beste Waffe, die die Götter je geschaffen haben. Und es wird Zeit, dass er sich darüber im Klaren ist. Auch du solltest dir darüber im Klaren sein. Meinetwegen schlag alles, was ich sage, in den Wind, nur das nicht. Ich meine es ernst und ohne böse Absicht.«
Ich kam gegen ihn nicht an. Seine Worte waren wie Stachel, die sich nicht abschütteln ließen.
»Du irrst«, entgegnete ich, machte auf dem Absatz kehrt und lief davon.
Neunzehntes Kapitel
I n aller Frühe brachen wir am nächsten Morgen mit der gesamten Flotte auf. Vom Achterschiff aus betrachtet, bot der Strand von Aulis ein wüstes Bild. Man sah nur noch die Latrinengräben und die verkohlten Reste des Scheiterhaufens, auf dem Iphigenies Leichnam verbrannt worden war. Ich hatte Achill mit Odysseus’ Worten geweckt und gesagt, dass er Diomedes nicht rechtzeitig hätte sehen können. Er hörte mir mit stumpfem Ausdruck zu, und obwohl er lange geschlafen hatte, blickte er müde drein. Dann sagte er: »Was ändert das? Sie ist tot.«
Jetzt stand er neben mir an der Reling. Ich versuchte, ihn abzulenken, und deutete auf die Delfine, die uns begleiteten, auf die Regenwolken am Horizont, doch er achtete kaum darauf und schien mir gar nicht zuzuhören. Später sah ich ihn mit düsterem Blick exerzieren und mit dem Schwert gegen Phantome kämpfen.
Jede Nacht liefen wir in einen anderen Hafen ein, denn unsere Boote waren nur für kurze Strecken gebaut. Von den anderen Schiffen sahen wir nur die von Diomedes. Die Flotte hatte sich aufgeteilt, weil die Ufer der einzelnen Inseln nicht genügend Platz boten für die gesamten Streitkräfte. Es war gewiss kein Zufall, dass uns ausgerechnet der König von Argos begleitete. Fürchteten sie etwa, dass wir umkehren könnten? Ich versuchte, ihn zu ignorieren, so gut ich konnte, und zum Glück ließ er uns in Frieden.
Für mich sahen die Inseln alle gleich aus – hoch aufragende, weiß gebleichte Klippen und Kieselstrände, die mit ihren kalkigen Steinen an der Unterseite unserer Ruderboote kratzten. Vereinzelt standen Olivenbäume und Zypressen an den Ufern, dazwischen nur dürres Gesträuch. Achill hatte keinen Sinn dafür. Er hockte über seiner Rüstung und polierte sie, bis sie wie helles Feuer glänzte.
Am siebten Tag erreichten
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