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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeline Miller
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im Rücken. »Wir wissen, weswegen ihr gekommen seid«, hatte er gesagt. »Aber Helena will nicht zurückkehren und hat sich unter unseren Schutz gestellt. Ich habe noch nie einer Frau Schutz verweigert und werde es auch in Zukunft nicht tun.«
    »Klug gesprochen«, kommentierte Diomedes. »Damit weist er alle Schuld von sich.«
    Odysseus fuhr fort: »Ich sagte, wenn dies sein letztes Wort sei, wären alle weiteren Worte vergebens.«
    Agamemnon erhob sich und sprach mit laut tönender Stimme. »So ist es. Wir haben Gespräche gesucht und sind zurückgewiesen worden. Jetzt bleibt uns nur noch Krieg als einzig ehrenhafte Lösung. Morgen werdet ihr, ein jeder von euch und bis auf den letzten Mann, den Ruhm erringen, der euch gebührt.«
    Er sagte noch mehr, doch ich hörte nicht mehr hin. Bis auf den letzten Mann . Ich bekam Angst. Dass ich daran noch nicht gedacht hatte! Natürlich würde auch ich kämpfen müssen. Wir führten Krieg, an dem ausnahmslos alle beteiligt waren, nicht zuletzt der engste Gefährte des Aristos Achaion .
    In dieser Nacht fand ich keinen Schlaf. Die an der Zeltwand lehnenden Speere kamen mir übermäßig lang vor. Ich versuchte, mich an meine dürftige Ausbildung zu erinnern, daran, wie man zuschlägt und einen Angriff abwehrt. Die Schicksalsgöttinnen hatten nichts über mich gesagt, geschweige denn Auskunft darüber gegeben, wie lange ich leben würde. Ich geriet in Panik und weckte Achill.
    »Ich werde bei dir sein«, versprach er mir.
    Es war noch dunkel, als mir Achill am frühen Morgen dabei half, mich zu rüsten – mit Beinschienen, gepanzerten Handschuhen und ledernem Brustharnisch, über den noch ein Schild aus Bronzeblech geschnallt wurde. All das erschien mir eher hinderlich denn schützend. Ich konnte Arme und Beine kaum bewegen, und das Gewicht drückte mich nieder. Achill versicherte mir, dass ich mich daran gewöhnen würde, was ich aber nicht glaubte. Ich kam mir lächerlich vor, als wir ins Freie traten, wie jemand, der die Sachen des älteren Bruders trug. Die Myrmidonen warteten bereits und drängelten aufgeregt. Gemeinsam marschierten wir über den Strand, um uns dem riesigen Heer anzuschließen. Erst wenige Schritte unterwegs, geriet ich schon außer Atem.
    Der Lärm der Armee, grölende Stimmen, klirrende Waffen und Hörnerklang, war ohrenbetäubend und schallte zu uns herüber. Je näher wir kamen, desto deutlicher sahen wir das waffenstarrende Meer von Männern, die bereits in der Ordnung exakter Quadrate Aufstellung genommen hatten. Ein jedes war gekennzeichnet mit dem Banner seines Königs. Nur eine Position war noch frei, ganz vorn an prominenter Stelle, vorbehalten für Achill und seine Myrmidonen. Dort angelangt, formierten wir uns mit Achill an der Spitze, dann seine Hauptmänner mit mir in der Mitte und hinter uns Reihe um Reihe aus stolzen Phthianern.
    Vor uns lag jenseits des weiten, flachen Feldes die Stadt mit ihren mächtigen Mauern, Toren und Türmen. Wie ein bewegter grauer Wall sahen die Truppen aus, die uns gegenüber Stellung bezogen hatten und mit polierten Schilden bewehrt waren, die in der Sonne blinkten. »Bleib hinter mir«, sagte Achill über die Schulter hinweg. Ich nickte und spürte den Helm über die Ohren rutschen. Heillose Angst machte sich in mir breit. Die Beinschienen drückten auf die Füße, und der Speer lag mir allzu schwer in der Hand. Eine Fanfare erschallte. Ich holte Luft. Jetzt, jetzt ging es los.
    Klappernd und klirrend setzte sich unser Heer in Bewegung. Geplant war ein Sturmlauf, mit dessen Wucht wir die feindliche Phalanx zu sprengen hofften.
    Doch schon bald rissen unsere Reihen auseinander, weil ein jeder in seiner Gier nach Ruhm als Erster ans Ziel zu gelangen versuchte. Als die Hälfte der Strecke zurückgelegt war, konnte von einer Schlachtordnung nicht mehr die Rede sein. Ein Großteil der Myrmidonen hatte mich überholt und schwärmte nach links aus, während ich in einen Haufen Spartaner geriet, die ihre langen Haare für den Kampf geölt und gekämmt hatten.
    Keuchend rannte ich, was das Rüstzeug hergab. Unter dem immer lauter werdenden Trampeln zahlloser Füße bebte der Boden. Aufwirbelnder Staub nahm uns die Sicht. Ich konnte Achill nicht mehr sehen, nicht einmal meinen Nebenmann, und mir blieb nichts anderes übrig, als meinen Schild festzuhalten und zu laufen.
    Die vordersten Reihen trafen krachend und scheppernd auf Schilder der Abwehr. Holzsplitter flogen durch die Luft und Blutspritzer färbten die

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