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Das Lied des Achill

Das Lied des Achill

Titel: Das Lied des Achill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeline Miller
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Rüstungen dunkel. Wie vom Maul der Charybdis verschluckt, ging Reihe für Reihe unter.
    Plötzlich fiel ein Spartaner neben mir zurück, aufgehalten von einem Speer, der sich ihm in die Brust gebohrt hatte. Ich fuhr mit dem Kopf herum und suchte nach dem Mann, der ihn geworfen hatte, sah aber nichts als Getümmel. Ich ging neben dem Gefallenen in die Hocke, um ihm die Augen zu schließen und ein kurzes Gebet zu sprechen. Fast hätte ich mich über ihn erbrochen, als mir auffiel, dass er noch lebte und gurgelnd nach Luft rang.
    Es krachte neben mir. Ich schreckte auf und sah Ajax, der seinen gewaltigen Schild wie eine Keule schwang und auf Gesichter und Leiber damit eindrosch. Hinter ihm fuhr ein trojanischer Streitwagen auf knarrenden Rädern vorbei, darauf ein junger Mann, der wie ein Hund die Zähne fletschte. Odysseus rannte hinterher, um die Pferde abzufangen. Der sterbende Spartaner klammerte sich mit beiden Händen an mir fest. Zu meiner dumpfen Erleichterung erschlaffte er schließlich. Mit zitternden Fingern schloss ich ihm die gebrochenen Augen.
    Schwindelnd richtete ich mich auf. Mir war, als stünde ich im Gewoge einer vom Sturm aufgewühlten See. Mein Blickfeld blieb seltsam verschwommen, da war zu viel Bewegung und blitzendes Sonnenlicht, das von Rüstzeug und Waffen widergespiegelt wurde.
    Wie aus dem Nichts tauchte Achill neben mir auf. Er war voller Blut und außer Atem, sein Gesicht gerötet und sein Speer am Griff rot verschmiert. Er grinste mir zu, drehte sich um und sprang in einen Haufen von Trojanern. Das Feld war übersät von Leichen, Teilen von Rüstungen, Waffen und Wagenrädern, doch er strauchelte nicht, kein einziges Mal, während alles andere um ihn herum zu Boden ging, wie ausgerutscht auf glitschigen Schiffsplanken.
    Ich tötete niemanden, versuchte es nicht einmal, und nach stundenlangem, ekelerregendem Gemetzel konnte ich kaum noch den Speer in der Hand halten, auf den ich mich häufiger stützte, als dass ich mit ihm gedroht hätte. Der Helm saß mir wie ein Felsklotz auf dem Kopf und quetschte meine Ohren.
    Ich hatte den Eindruck, etliche Kilometer gerannt zu sein, doch als ich zu Boden blickte, sah ich, dass ich auf der Stelle trat und einen Kreis trockenen Grases niedergestampft hatte. Der andauernde Schrecken hatte mich ausgelaugt, und mir war zumute wie inmitten einer seltsamen Leere, die niemand anderen als mich in sich aufnahm. Angst empfand ich längst nicht mehr.
    In meiner Benommenheit wurde mir irgendwann bewusst, dass ich den Umstand, noch am Leben zu sein, einzig und allein Achill verdankte. Er hatte mich ständig im Blick und schien mit übernatürlichen Sinnen auf der Hut zu sein, war jedes Mal rechtzeitig zur Stelle, wenn ein Gegner, verwundert, welch einfaches Ziel ich darstellte, auf mich ansetzte. Bevor dieser ein weiteres Mal Luft holen konnte, hatte er ihn bereits niedergestreckt.
    Er war ein leibhaftiges Wunder. Kaum hatte er einer der Leichen am Boden den Speer aus dem Leib gezogen, schleuderte er ihn mit unfehlbarer Treffsicherheit seinem nächsten Opfer entgegen. Immer wieder sah ich sein Handgelenk rotieren, die tödliche Eleganz all seiner Bewegungen, mit denen er einen Gegner nach dem anderen zu Fall brachte. Staunend ließ ich meinen Speer irgendwann fallen. Für das grauenvolle Sterben, die zerschmetterten Schädel und Knochen und das Blut, das ich mir später von Haut und Haaren abwaschen sollte, hatte ich keine Augen mehr. Ich sah nur seine Schönheit und seine tanzende Kraft.
    Als es endlich Abend wurde, schleppten wir uns wie auch die Gefallenen und Verwundeten zu unseren Zelten zurück. Ein guter Tag, sagten unsere Könige und klopften einander auf die Schultern. Ein vielversprechender Beginn. Daran sollte am nächsten Tag angeknüpft werden.
    Und so ging es weiter, Tag für Tag, Woche für Woche. Aus einem Monat wurden zwei.
    Es war ein sonderbarer Krieg. Ohne Landgewinn, ohne Gefangene. Allein um Ehre wurde gekämpft, Mann gegen Mann. Mit der Zeit entwickelte sich auf beiden Seiten ein erkennbarer Rhythmus. An sieben von zehn Tagen wurde gekämpft, die restliche Zeit blieb festlichen Riten und Begräbnissen vorbehalten. Es gab keine Überfälle mehr, keine Überraschungsangriffe. Die Anführer, einst voller Hoffnung auf einen schnellen Sieg, hatten sich damit abgefunden, über längere Zeit an diesen Krieg gebunden zu sein. Beide Lager waren gleich stark und blieben es, so zermürbend die tagtäglichen Schlachten für die Trojaner auch sein

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