Das Lied des Dunklen Engels
nach unten und holte einen Teller dicke Suppe und Brot Er ließ Corbett in Ruhe essen. Sir Simon und Lady Alice kamen herauf und fragten befangen, wie es ihm gehe. Corbett war höflich, aber auf der Hut. Maltote kam zurück, begierig darauf, Ranulf über das Bordell zu berichten und darüber, daß er sein Herz an Rohesia verloren habe. Ein Blick auf das finstere Gesicht Ranulfs genügte jedoch, und Maltote begriff, in welch großer Gefahr ihr Herr geschwebt hatte. Der Kurier ging auf und ab, schlug die Hände zusammen und murmelte, daß sie sofort nach London zurückkehren sollten. Ranulf fuhr ihn an, den Mund zu halten und sich hinzusetzen, oder er würde ihm einen Hocker über den Schädel hauen. »Wer war das, Herr?« fragte Maltote.
Corbett schüttelte den Kopf und berichtete von seinem Besuch in der Eremitage.
»Ich kann mich nur daran erinnern, Parfüm gerochen zu haben und daß ein Holzklotz auf mich niedersauste. Im nächsten Augenblick fand ich mich am Strand wieder. Wie hast du mich entdeckt, Ranulf?«
»Ihr hattet mir aufgetragen, den Strand entlangzureiten.« Corbett schloß die Augen und ließ den Kopf wieder auf die Kissen sinken.
»Erzähl mir davon.«
»Ich ritt noch weiter den Strand entlang«, berichtete Ranulf. »Was für ein gottverlassener Ort das doch ist, Herr. Ich habe für mein ganzes Leben genug Möwen gesehen.«
»Aber was hast du entdeckt?« fragte Corbett ungeduldig.
»Ein kleines einsitziges Ruderboot, das jemand hoch auf den Strand gezogen hatte«, antwortete Ranulf. »Von dort führte ein weiterer Pfad, sehr sandig, so daß man kaum einen Halt findet, auf das Kliff. Ich stieg ihn hinauf. Der Platz macht den Eindruck, als würde er häufig besucht. Dann ging ich wieder zum Strand zurück. Ich untersuchte das Boot. Es war seetüchtig und wies keine besonderen Merkmale auf, außer daß sich im Heck ein dunkler Fleck befand, der wie ein Blutfleck aussah.« Ranulf zuckte mit den Achseln. »Es hätte auch etwas anderes sein können. Ich ritt weiter, aber der Anblick des Meers gefiel mir nicht; tosend und mit immer größeren Brechern. Also kehrte ich um. Ich bekam es mit der Angst: Je schneller ich galoppierte, je näher kam mir die See. Ich hatte vor, den Pfad hinaufzureiten, der zur Eremitage führt.« Ranulf verzog das Gesicht. »Da sah ich Euch laufen.« Er hielt inne, weil es an der Tür klopfte. Selditch trat ein.
»Sir Hugh«, stammelte er und fuchtelte mit den Händen vor seinem imposanten Bauch. »Was kann ich tun?«
»Nichts«, entgegnete Corbett schnell, ehe Ranulf noch etwas sagen konnte. »Master Selditch, ich fühle mich ausgezeichnet. Herzlichen Dank.«
Der Arzt ging wieder.
»Ich würde ihm nicht trauen!« sagte Ranulf und schnüffelte plötzlich. »Er benutzt irgendein Parfüm, Herr, und Lady Alice ebenfalls.«
Corbett schaute auf die Tür und grinste Ranulf an.
»Ich danke dem Himmel, daß du gekommen bist!«
Sein Diener zuckte mit den Achseln. »Vermutlich hättet Ihr ja auch ohne meine Hilfe den Pfad noch rechtzeitig erreicht. Euer Dickkopf hat Euch gerettet. Der Mörder, der Teufel möge ihn holen, hatte einfach nicht damit gerechnet, daß Ihr das Bewußtsein wiedererlangen könntet.«
Corbett nestelte an einem losen Faden in einer seiner Decken. »Du kannst sagen, was du willst, Ranulf, wenn du nicht gekommen wärst, wäre ich ertrunken. Du darfst Lady Maeve kein Wort davon sagen.« Corbett schaute sich im Zimmer um. »Ich habe in Oxford studiert und mich in die Dienste des Königs begeben. Gelegentlich fühle ich mich wie eine geschäftige Spinne, die Netze baut und die der anderen zerstört. Ich gebe es zu, ich begreife die menschliche Natur nicht. Was wäre durch meinen Tod gewonnen gewesen? Wem hätte es genützt, Maeve zur Witwe zu machen und mein Kind vaterlos? Der König selbst wäre dann hergekommen, oder er hätte jemanden anderen geschickt, und so wäre es immer weitergegangen, bis diese Angelegenheit erledigt gewesen wäre.« Er rieb sich die Augen. »Vielleicht sollte ich meine Siegel zurückgeben! Mich von allem verabschieden und mich auf mein Gut zurückziehen?«
Ranulf verbarg seine Besorgnis und schaute seinen Dienstherrn an. Corbett hatte in gewisser Weise recht Der alte Meister Langschädel war ein sehr guter Schachspieler. Aber in den Gesetzen der Straße war er immer noch vollkommen unerfahren.
»Falls Ihr aufgebt, Herr«, sagte Ranulf nachdenklich, »wäre die einzige Folge, daß noch mehr Mörder davonkommen, weiter das Land
Weitere Kostenlose Bücher