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Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)

Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Schacht
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nehmen würde. Voraussicht war es nur so weit, wie sie erkannte, zu welchem Handeln und Denken ihre Kundschaft bereit war. Oft lag sie richtig damit.
    Einige Male aber war die Sicht über sie gekommen und hatte sie durch den Nebel der Zukunft Dinge erblicken lassen, die unerwartet waren. Ob es das Erbe ihrer Mutter, einer Fahrenden, war oder eine ihr von Gott gesandte Gabe, wusste Marian nicht zu beurteilen. Aber er brachte ihr Achtung entgegen, denn auch er hatte eine Gabe erhalten, eine Gabe, die ihn befähigte, die Schmerzen der Menschen zu erfühlen. Eher eine Plage, so hatte er es empfunden, und doch war sie oft hilfreich.
    Zauberei war beides nicht, aber unheimlich war es jenen, die Angst vor allem hatten, was nicht in ihre Weltsicht passte. Mats’ Befürchtungen waren nicht unbegründet.
    Ein Verband bedeckte die Wunde, die der Stein an Gislindis’ Kopf hinterlassen hatte, und Marian brauchte nicht das weiße Leinen zu berühren, um zu wissen, dass die Verletzung einen dumpfen Schmerz ausstrahlte.
    Den konnte er ihr nehmen.
    Die Versuchung war groß, und er widerstand ihr nur für eine kleine Weile, dann legte er sanft die Finger an ihre Schläfe. Sie öffnete fragend die Augen, und er lächelte sie an.
    »Ruht, schöne Gislindis.«
    Sie schloss die Augen wieder, und als das dumpfe Pochen sich in seinem eigenen Schädel einnistete, seufzte sie leise. Er zog seine Hand zurück, aber ihre schlich sich unter den Decken hervor und griff nach ihm.
    »Holt Euch Euren Lohn, Heiler«, flüsterte sie und wandte ihm ihr Gesicht zu.
    Er tat es, und als seine Lippen die ihren berührten, löste sich aller Schmerz in nichts auf, und ein unbeschreibliches Wohlgefühl breitete sich in ihm aus. Ihre Finger schoben sich in seine Locken und hielten ihn fest, und vorsichtig, um ihre geprellten Rippen nicht zu belasten, küsste er sie noch ein zweites und drittes Mal.
    »Süßer als der Brei«, murmelte sie.
    »Und süßer als jeder Rosenduft.«
    »Ihr habt mein Herz betört, Marian. Und ich habe versucht, dies törichte Herz zu bezähmen. Aber es will und will mir nicht gelingen.«
    »Dann geht es deinem Herzen wie dem meinen, Lieb. Es war verschlossen vor Leid, du hast die harte Kruste aufgebrochen, und nun ist es verletzlich geworden. Halte es in guter Hut.«
    »Wenn du es erlaubst, so will ich es schützen, als wär es das meine, und das, was in meiner Brust schlägt, soll dir gehören.«
    »Unter meiner Kammer in Venedig stand ein Zitronenbaum …«
    »Ich weiß.«
    »Ich habe ihn dort gelassen.«
    Ihre Augen blitzten mutwillig auf.
    »›Mir haben meine Augen gewählt einen jungen Mann.‹ Das Gedicht hast du in mein Buch geschrieben, in dem ich lesen lernen wollte.«
    »Ein Rat meiner spitzfindigen Schwester. Sie meinte, damit würde ich dein Herz erobern.«
    »Sie ist weise. Und sie wird, wo immer sie sich jetzt aufhält, eine Möglichkeit finden, zu überleben. Vielleicht sogar versuchen zu entkommen.«
    Marian biss sich auf die Lippe. Er hätte ebenfalls auf diesen Gedanken kommen können.
    »Ja, das wird sie, wenn sie eine Gelegenheit findet. Wir sollten auch das berücksichtigen.«
    »Marian, Merten hat Verbrechen begangen. Er hat Yskalt sterben lassen, sein Wissen verschwiegen und vermutlich auch seinen Stiefvater umgebracht. Er hat Alyss den Hof gemacht. Und nun ist er verschwunden. Und da ist noch etwas, das mir Gedanken macht. Marian, diese ertrunkene Frau, die Amme von Alyss’ Sohn – wieso ist sie gerade zu der Zeit nach Köln gekommen?«
    »Sie wollte ihre Fibel bei Ambrosio auslösen, die ihr Mann versetzt hat, um neue Weinstöcke zu kaufen.«
    »Sie hat das Geld aber nicht gehabt, und bei Alyss hat sie nicht vorgesprochen.«
    Marian konnte sich zwar keinen Reim auf diese Tatsachen machen, aber er vertraute Gislindis’ Instinkt.
    »Sag mir, was du denkst, Lieb.«
    »Sie hat jemand anderen um Geld angegangen. Ware hatte sie sicher nicht zu verkaufen.«
    »Wohl aber ihren Leib.«
    »Oder ein Wissen?«
    »Sie hat seit Jahren auf dem Gut ihres Mannes gelebt …«
    »Sie hatte die Aufsicht über Alyss’ Sohn. Weiß man, wie der Kleine ertrunken ist? Hat es jemand beobachtet? Wollte sie sich Schweigen bezahlen lassen?«
    »Es kommt mir weit hergeholt vor, Gislindis. Allerdings – dass sie sich derart über den Verlust ihrer Fibel gegrämt hat, dass sie ins Wasser ging, glaube ich auch nicht.«
    »Es könnte ein Unfall gewesen sein, sicher. Aber wenn sie den Falschen um Schweigegeld angegangen ist, dann

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