Das Lied des Falken: Historischer Roman (German Edition)
Haus der Zauberschen summte von Bienen und duftete nach Kräutern, aus dem Kamin stieg ein Rauchfähnchen, und eine weiße Katze döste auf einem Hackklotz in der Sonne. Sie stiegen ab und legten die Zügel ihrer Pferde über die Pfosten des Zaunes.
»Ruf du sie, Frieder.«
»Frau Sybilla, seid Ihr zu Hause?«
Die Zaubersche erschien in der Tür und betrachtete sie schweigend. Frieder wurde etwas ungemütlich unter ihrem Blick, da sagte sie auch schon zu Master John: »Ihr seid zurückgekommen, Herr?«
»Um Euer Gedächtnis noch einmal in Anspruch zu nehmen.«
»Ihr habt ausreichend Auskunft von mir erhalten.«
»Nein, nicht alles, was sich darin verbirgt, habt Ihr uns berichtet.«
»Warum sollte ich, Herr? Mein Gedächtnis gehört mir.«
Gold blinkte in Master Johns Hand auf. Sybilla lachte heiser.
»Auch käuflich ist es nicht.«
»Schön. Dann gibt es andere Wege.«
»Droht Ihr mir?«
»Ja.«
Wieder lachte Sybilla heiser.
»Ihr müsst verzweifelt sein. Man droht mir nicht, Herr.«
Sie war ein mutiges Weib, das musste Frieder anerkennen. Aber sie wusste nicht, wie kaltblütig Master John handeln konnte. Eben maß er sie mit seinem verhangenen eisblauen Blick, und Sybillas Hände strichen unruhig über ihre Schürze. Die weiße Katze schlich auf verstohlen leisen Pfoten ins Haus und maunzte jämmerlich. Die Zaubersche murmelte einen Spruch und hob die Hände zum Abwehrzeichen gegen den bösen Blick.
»Spart Euch den Hokuspokus, Sybilla. Damit könnt Ihr abergläubische alte Vetteln beeindrucken.«
Noch einmal lachte sie auf.
»Glaubt Ihr? Und Ihr, junger Freund? Seid auch Ihr gefeit gegen die Flüche, die sich Euch an die Fersen heften werden?«
Ganz sicher war Frieder sich nicht, aber er war abgehärtet durch Hildas dumpfe Warnungen und Deutungen böser Omen. Er lächelte die Frau herzlich an.
»Vielleicht weiß ich ja einen Gegenfluch, Sybilla, der sich an den Schwanz Eurer Katze hängt. Dann wird sie zu einem bösen Dämon, der Euch nächtens die Träume stiehlt.«
»Dieser Mann hier, wann habt Ihr ihn zuletzt gesehen?«, fragte Master John und hielt ihr die Zeichnung hin, die Mats gemacht hatte.
Sybilla wurde ernst.
»Ihr seid verzweifelt.«
»Ja. Und darum solltet Ihr Angst vor mir haben, sorceress .«
Sie begutachtete das Bild und nickte.
»Was hat er getan?«
»Gemordet. Ein unschuldiges Kind, eine Amme, einen Studiosus …«
»Mit meinen Pulvern und Tränken?«
»Sie haben ihm dabei geholfen. Der Fliegenpilz macht wehrlos und benommen. Zu viel davon führt zum Tode.«
Sybilla ging zu der Bank, die an der Hauswand stand, und setzte sich nieder.
»Das Unglück ist über mich gekommen«, sagte sie leise. »Ich habe die Zeichen gesehen und nicht beachtet.«
Frieder nahm ihr das Pergament aus der Hand und rollte es zusammen.
»Wann habt Ihr ihn gesehen?«
»Vor zwei Wochen. Er wollte von jenen Pilzen haben, und ich gab sie ihm gegen Gold. Ich brauchte Gold, denn mein Kind hat man gefangen genommen. Mein Kind starb einen leichteren Tod als den, zu dem man es verurteilt hat. Der Henker …«
Frieder schluckte. Marian hatte eine Weile bei Meister Hans das Knocheneinrenken gelernt. Dabei hatte er einiges von der Arbeit des Scharfrichters erfahren und ihnen weitererzählt. Einer der gängigen Nebenverdienste war der schnelle Tod durch Erdrosseln, wenn quälende Körperstrafen verhängt wurden.
»Was tat Euer Kind?«, fragte Master John.
»Es hat sich einer Räuberbande angeschlossen. Ich habe es nicht verhindern können.«
Ihre Hände lagen im Schoß, ruhig und still gefaltet.
»Wie alt war Euer Kind?«
»Sechzehn Lenze.«
Zwei Jahre jünger als er selbst, dachte Frieder. Ungestüm vielleicht und trotzig.
Seine Gedanken unterbrach Master John, als er mit ruhiger Stimme bat: »Sybilla, helft uns, den Mann zu finden, der meiner Mistress dreijährigen Sohn ertränkt hat.«
Sacht nickte sie.
»Isenburg. Arndt van Collen nannte er sich und glaubte, ich würde ihn nicht erkennen. Das zweite Mal kam der andere, dessen Bild Ihr bei Euch tragt. Er nannte keinen Namen, aber Isenburg begleitete ihn. Sie gaben mir das Gold, das ich verlangte. Sie lachten, als sie von dannen gingen. Und ich half meinem Kind zu sterben.«
»Warum habt Ihr uns das nicht gleich erzählt, Sybilla?«
»Warum hätte ich Euch meine Schande gestehen sollen?«
Frieder zupfte einen Stängel von einem Kraut ab und zerrieb die Blätter zwischen den Fingern. Der Tod war in den letzten Tagen näher und näher
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