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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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unangenehm auffallen würde. Caca hatte ihm einen stabilen Rucksack gebaut, in dem Zé nun sowohl ihre armselige Handelsware als auch seinen Proviant trug. Es befand sich außerdem ein Paar einfacher Ledersandalen darin, die João gefertigt hatte und die er tragen sollte, sobald er den Wald verließ, um darin wie ein freier Mann auszusehen. Der Rucksack war schwerer als das Bündel, mit dem Zé hier angekommen war, aber er trug ihn, als sei er leicht wie eine Feder. Bestimmt war es auch seine Ungeduld, die ihn mit Energie erfüllte und ihm alles leichter scheinen ließ, als es ohne Zweifel noch werden würde.
    Den Beginn seiner Reise legte Zé zügig per Kanu zurück. Er stattete den Tupinambá-Indios einen kurzen Besuch ab, um sie zu fragen, ob er ihnen aus der »Zivilisation« etwas mitbringen könne. Das, so fand Zé, war das mindeste, was er im Gegenzug für ihre Hilfe anbieten konnte. Doch die Indianer waren genügsam und skeptisch den meisten Dingen gegenüber, die die Weißen ins Land gebracht hatten. Einzig um ein paar bunte Glasperlen baten sie, und Zé versprach ihnen, diese für sie zu beschaffen.
    Er schlug sich, weiterhin per Kanu, gen Südosten durch. Sein Plan war der, sich zunächst auf der Seite der Allerheiligenbucht, die Salvador gegenüberlag, um den Verkauf der Dinge zu kümmern, die er mit sich führte, und sich so vom Ballast zu befreien. Es gab dort ein paar Ortschaften, Nazaré etwa oder São Félix, in denen bestimmt nicht so gezielt nach entflohenen Sklaven Ausschau gehalten wurde wie in der Hauptstadt. Sobald er etwas Geld hätte, würde er sein Äußeres mit neuer Kleidung so weit verändern können, dass er für Sklavenjäger nicht mehr auf Anhieb als Flüchtling erkennbar wäre. Dafür sollte vor allem die Summe herhalten, die er mit dem goldenen Herz zu erlangen hoffte.
    Als der Fluss Gebiete erreichte, die von Weißen besiedelt waren, ging Zé zu Fuß weiter. Am Ufer waren immer Menschen anzutreffen, die wuschen, fischten oder Wasser schöpften, während man sich abseits des Flusses besser verbergen konnte. Längst hatte Zé keine Angst mehr vor den vermeintlichen Gefahren des Waldes, denn die meisten Unbilden, die einem Menschen darin drohten, konnte er meistern. Aber vor fremden Menschen war ihm noch immer bang. Dennoch wanderte er leichtfüßig und freute sich genauso auf seine Rückkehr in eine größere Siedlung, wie er sie fürchtete. Würde man ihm ansehen, dass er schon lange fernab des dichtbesiedelten Küstenstreifens lebte? Würde man ihn tatsächlich für einen Freien halten? Er musste lernen, sich wie ein solcher zu benehmen und nicht den Kopf zu senken, sobald ihn jemand prüfend ansah.
    Als er die erste Stadt, São Félix, erreichte und sich erstmals auf die normalen Straßen wagte, klopfte sein Herz wie wild. Doch niemand nahm Notiz von dem abgezehrt wirkenden Schwarzen, der mit einem großen Rucksack unterwegs war. Die Leute hatten alle genug mit sich selbst zu tun. Zé näherte sich dem Ortskern, ohne ein Wort mit irgendjemandem gewechselt zu haben. Er fürchtete schon, seine Stimme könne von dem langen Schweigen während seiner Reise krächzig geworden sein. Aber dann sprach ihn plötzlich eine ältere schwarze Frau an, die wissen wollte, ob er etwas zu verkaufen habe, und Zé antwortete mit fester Stimme: »Ja. Wie komme ich denn zum Markt?«
    »Heute ist gar kein Markt«, sagte die Frau. »Nur montags, mittwochs und samstags.«
    Erst jetzt wurde Zé bewusst, dass er jegliches Gefühl für die Kalenderzeit verloren hatte. Im Wald war jeder Tag gleich. Es gab keine Kapelle, in die man sonntags zu gehen hatte, und Nahrung sowie Feuerholz brauchten sie täglich, auch an Feiertagen. Einzig der Sonnenstand und die Fülle des Mondes gaben ihnen dort draußen Hinweise auf die Zeit, und eigentlich brauchten sie auch nicht mehr. Er wusste nicht einmal, in welchem Monat sie sich jetzt befanden!
    »Oh, da hab ich wohl etwas durcheinandergebracht«, rief er aus.
    »Na ja, bis morgen wird deine Ware wohl nicht verderben. Was hast du denn Schönes zu verkaufen?« Sie hoffte anscheinend, ein Schnäppchen machen zu können.
    Zé dachte einen Augenblick darüber nach, ob es denn nun Sonntag, Dienstag oder Freitag wäre. Der Sonntag schied aus, denn es herrschte geschäftiges Treiben, niemand war für den Kirchgang gekleidet, und Glocken waren auch keine zu hören. Also musste es Dienstag oder Freitag sein. Der Frau antwortete er: »Ich habe Korbwaren und Schnitzereien im Gepäck.

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