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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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bewerkstelligt? Und wie hatte es die Alte so schnell hierherschaffen können? Lua brannten tausend Fragen auf den Nägeln, aber bei einem Blick in Kasindas mürrisches Gesicht traute sie sich nicht mehr, auch nur eine einzige davon zu stellen.
    »Hier, essen Speck und Brot.« Damit packte sie aus ihrem Bündel, das sie aus gewachstem Leinentuch geschnürt hatte, Lebensmittel aus, die Lua wie die köstlichsten Delikatessen erschienen – Dinge, die sie noch vor kurzem für die alltäglichsten und unspektakulärsten Nahrungsmittel der Welt gehalten hatte. Neben Speck und Brot hatte Kasinda auch Dauerwürste und Käse und Goiabada, festes Guavengelee, dabei, kurz: ein Festmahl! Gierig machte Lua sich darüber her, und Kasindas lauernde Blicke störten sie nicht besonders. Erst als ihr erster Appetit gestillt war, empfand sie dieses Starren als lästig und ungehörig.
    »Was ist? Hast du noch nie eine hungrige Frau gesehen?«
    »Du haben Kind?«, fragte die Alte zurück.
    »Natürlich habe ich keine Kinder, das weißt du doch.«
    »Du haben Kind in Bauch.«
    Diesmal formulierte sie es nicht als Frage.
    Sie ließ Lua weder Zeit, über diese ungeheuerliche Vermutung nachzudenken, noch, etwas darauf zu erwidern. Stattdessen reichte sie ihr stumm schmunzelnd das Notizbuch und den Stift.

35
    M eine Tochter Nzinga blieb das einzige Kind, das ich vom Senhor bekam. Sie entwickelte sich prächtig, doch mir blutete das Herz, wenn ich sie nur ansah. Sie war viel zu hübsch, um als Sklavin in diesem Land ein glückliches Leben führen zu können. Ich malte mir all die Schrecken aus, die ihr widerfahren, all die ekelhaften Kerle, die ihr Gewalt antun würden. Ich sah es genau vor mir, und ich konnte nicht das Geringste dagegen unternehmen. Manchmal dachte ich, es bekäme meiner Kleinen besser, wenn ich sie strenger erzog und sie schon frühzeitig auf das vorbereitete, was ihr blühte. Aber das brachte ich nicht über mich. Ich überschüttete sie mit Liebe, ich konnte nicht anders. Ich küsste und herzte sie, sooft sich die Gelegenheit ergab. Ich kraulte jeden Abend, bevor sie einschlief, ihre pummeligen Beinchen und begrüßte sie an jedem Morgen, indem ich sie wach kitzelte. Sie quietschte vor Vergnügen, wie sie überhaupt ein sehr fröhliches Kind war.
    Jede Mutter hält ihre Kinder für die wunderbarsten der Welt, das hat die Natur wohl so eingerichtet. Dennoch glaubte ich, dass es sich bei Nzinga tatsächlich so verhielt. Alle anderen Sklaven freuten sich, wenn sie meine Tochter erblickten, und sogar die Weißen zwickten sie gelegentlich in die Wange oder streichelten ihren Kopf mit den lustig abstehenden, drahtigen Zöpfchen, die ich ihr immer flocht. Sie
war
ein schönes Kind, und sie verfügte über die Gabe, alle Menschen in ihrer Umgebung zum Lächeln zu bringen. Sie war der Liebling der ganzen Fazenda.
    Als sie etwa vier Jahre alt war, begann sie, die Tänze der Sklaven nachzuahmen, die diese allabendlich vor der Senzala aufführten. Ich selber beteiligte mich nicht an dem albernen Gehüpfe, das so gar nichts mit den Tänzen zu tun hatte, die ich aus meiner Heimat kannte. Doch die anderen Schwarzen amüsierten sich gut und tanzten ausgelassen zur Musik von Trommeln, Rasseln, Flöten und Saiteninstrumenten, deren Namen ich nicht kannte. Nzinga war fasziniert von diesem Spektakel, und sie imitierte den lasziven Hüftschwung der Frauen so gekonnt, dass man sie ermunterte, weiterzumachen. Sie hielt gut den Takt, und ihre Fußbewegungen waren schnell und sicher.
    »Seht nur, die kleine Dodo! Ein Naturtalent ist sie!«, hörte man da den einen oder anderen rufen.
    Ich war beunruhigt und stolz zugleich.
    Natürlich bemerkte man auch in der Casa Grande, was meine Tochter für eine begabte Tänzerin war. Es war die Senhora selber, die eines Tages auf mich zukam und mir mitteilte, man wolle Dodo vor Gästen auftreten lassen. Die schrecklichen Tage auf dem Sklavenschiff fielen mir plötzlich wieder ein, als ich zum Takt der Peitsche hatte tanzen müssen, und meinem Gesichtsausdruck war wohl anzusehen, was ich von der Idee hielt.
    »Nun schau doch nicht so grimmig drein, Imaculada«, forderte die Senhora mich auf, »das Kind wird es lieben, und es wird ihm nichts Schlimmes passieren.« Sie schaute mich so lauernd an, dass in mir der Verdacht aufkeimte, sie könne meine Nzinga nur für diesen Auftritt ausgewählt haben, um sich an mir und ihrem untreuen Gemahl zu rächen. Sie selber hatte keine Kinder bekommen.
    Ich war erschüttert

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