Das Lied des Kolibris
über diesen Verlauf der Dinge, aber meine kleine Nzinga freute sich. Sie trat gern vor Publikum auf, und die Weißen aus der Casa Grande waren immer freundlich zu ihr gewesen. Was blieb mir also anderes übrig, als sie tanzen zu lassen? Ich hoffte, dass man sie mir in der Casa Grande nicht noch mehr entfremden würde, denn schon jetzt mochte meine Tochter ihren Gefangenennamen, Dodo, lieber als den königlichen afrikanischen Namen, den ich ihr gegeben hatte. Auch sprach sie akzentfrei Portugiesisch, während die Kenntnisse ihrer Muttersprache sich auf ein paar Brocken beschränkten. Ich beobachtete diese Entwicklung ängstlich, aber ich konnte nichts dagegen tun.
Nzingas Auftritt im Herrenhaus war ein so großer Erfolg, dass man sie dortbehalten wollte. An ihrem fünften Geburtstag teilte man mir mit, dass man Dodo in der Casa Grande zusammen mit drei anderen Kindern zu Haussklaven erziehen wolle und dass dazu die Trennung von der Mutter notwendig sei.
»Aber sie so klein noch!«, schluchzte ich.
»Ja, genau darum wollen wir sie ja auch jetzt schon zu einer tüchtigen Hilfe formen. Der afrikanische Humbug, den du ihr beibringst, wäre da nur schädlich.« Das Gesicht der Senhora nahm einen triumphierenden Ausdruck an, als sie fortfuhr: »Im Übrigen ist es doch wohl auch in Afrika so, dass die Väter das Sagen haben. Und ganz unter uns gesprochen: Dodos Ähnlichkeit mit Sinhô Sebastião ist wirklich frappierend …«
»Nicht Töchter. Töchter bleiben bei Mutter in Afrika«, wagte ich noch einzuwerfen, aber da spazierte die Senhora schon davon, mit meiner geliebten Nzinga an der Hand. Die Kleine ging bereitwillig mit. Sie wusste es nicht besser. Sie war nicht klüger als ein Hund, dem man einen Knochen vor die Nase hielt. In ihrem Fall bestand der Knochen aus hübschen Kleidchen und köstlichen Süßigkeiten.
Ich war untröstlich. Die anderen Sklavinnen konnten gar nicht verstehen, was mit mir war, denn sie hielten es für das größte Glück einer Mutter, wenn ihre Kinder es besser hatten als sie selbst. Natürlich wäre das auch mein größtes Glück gewesen, wenn ich denn sicher hätte sein können, dass es Nzinga in der Casa Grande tatsächlich besserging als bei mir. Doch da hatte ich so meine Zweifel. Schon bei dem Gedanken, dass niemand ihr Bäuchlein rieb oder ihre Beine kraulte, stiegen mir die Tränen auf, und die Vorstellung, dass eine kaltherzige weiße Frau meinem Kind näher sein durfte als ich selber, ließ mich schier verzweifeln.
Doch meine Sorgen schienen unbegründet zu sein. In den ersten Monaten, die meine Kleine im Herrenhaus verbrachte, verlief alles recht zufriedenstellend. Nzinga war glücklich über die Aufmerksamkeit, die man ihr schenkte, wenn sie ihre Tänze aufführte. Mindestens einmal am Tag kam sie freudestrahlend zu mir gelaufen, umarmte mich und erzählte atemlos von all den aufregenden Dingen, die sie in der Casa Grande erlebte und sah. Ich gab vor, mich mit ihr zu freuen, doch in Wahrheit bedrückte es mich sehr, dass sie Gefallen an so unsinnigen Dingen wie kristallenen Leuchtern oder den Seidenhandschuhen der Senhora fand. All der Tand würde doch nur Begierden in ihr wecken, die sie später nicht würde befriedigen können.
Meine Arbeit als Amme verrichtete ich übrigens noch immer. Es ist ganz erstaunlich, wie lange die weibliche Brust Nahrung spenden kann, wenn sie nur dazu angeregt wird. Ich stillte zwei schwarze Säuglinge, deren Mütter schon kurz nach der Niederkunft wieder auf die Felder mussten. Es war ein großes Privileg, als Milchamme arbeiten zu dürfen, denn ich bekam bessere Nahrung als die meisten anderen Sklaven, damit die Kinder groß und stark würden. Eines Tages jedoch starb eines der beiden Babys plötzlich und unerwartet, einfach so, mitten in der Nacht. Die Mutter, eine derbe, ungehobelte und dumme Person, war derartig aufgelöst, dass sie mich bepöbelte und mir die Schuld an dem Tod ihres Kindes gab. Ich habe, so behauptete sie, meine afrikanische Hexenkunst an ihrem Kind ausgeübt. Das war natürlich völliger Unsinn, doch je mehr die Frau sich ereiferte, desto mehr schenkten die anderen Sklaven ihr Gehör. Irgendwann drang das üble Gerücht bis zur Casa Grande vor, und die Senhora rief mich zu sich.
»Es heißt, du hast aus Kummer darüber, dass wir deine kleine Dodo hier erziehen, ein anderes Kind sterben lassen …«
»Nein, Senhora, nicht stimmen! Andere Kind schwach, Imaculada nicht schuld!«, beteuerte ich. Aber ihr Blick blieb
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