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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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würde Lua länger darüber grübeln, als gut für sie war. Sie brauchte Ablenkung.
    »Du sicher hier. Essen, dann schlafen. Morgen kommen dumme Senhorita.«
    »Nenn sie nicht immer ›dumme Senhorita‹!«, fuhr Lua die Alte an. »Die Sinhá Eulália ist meine einzige Chance auf Rettung. Und mag sie auch töricht wirken, so ist sie doch im Grunde ein herzensguter Mensch!«
    Kasinda nickte milde lächelnd, dann erhob sie sich aus ihrer hockenden Position. Sie bewegte sich so geschmeidig, dass Lua für einen kurzen Moment einen Blick darauf erhaschte, wie sie als jüngere Frau gewesen sein musste. Sonst fiel es ihr immer schwer, die Frau aus der Geschichte mit der Greisin vor sich in Verbindung zu bringen, aber diesmal bekam sie eine leise Ahnung, wenn auch der Augenblick schnell wieder vorbei war.
    »Du gute Traum!«, wünschte sie Lua, dann verschwand sie in der Abenddämmerung.
    Pah, gute Träume! Wo sollten die wohl herkommen? Erst überraschte Kasinda sie mit der Feststellung, dass sie sie für schwanger hielt, dann erzählte sie ihr fürchterliche Dinge über das, was ihrer eigenen kleinen Tochter widerfahren war – und da sollte man noch ruhig schlafen können oder gar angenehme Träume haben? Je länger Lua sich mit dieser Frechheit befasste, desto aufgewühlter wurde sie. Das Ganze musste ein Ende haben! Kasindas furchtbare Erlebnisse schadeten ihr und ihrem Seelenfrieden. Und sie schadeten dem Kind, das sie unter ihrem Herzen trug.
    Dem Kind?
    Oh, nein, damit lag die Alte bestimmt falsch. Lua weigerte sich, ihr das zu glauben. Oder glaubte sie es insgeheim doch? Sie fuhr mit der Hand über ihren Bauch, als könne sie durch die Berührung feststellen, ob sich darin ein Lebewesen befand. Doch weder ertastete sie etwas, noch überkamen sie mütterliche Gefühle. Sie spürte eigentlich gar nichts. War das gut oder schlecht? Sollte sie wider Erwarten doch ein Kind erwarten, würde ihm diese vollkommene Leere, die sie empfand, nicht schaden? Sollte sie es nicht vom ersten Augenblick an lieben, schon vom Zeitpunkt der Zeugung an?
    Lua erinnerte sich nur zu gut an die Liebesnacht, in der es hätte passiert sein können. Warum hatte sie sich nur so abweisend gegeben? Jetzt, da sie Zé wahrscheinlich nie mehr wiedersehen würde, fehlte er ihr unendlich. Sie sehnte sich nach seiner Umarmung und nach seinen Küssen, und sie vermisste seine Kraft und Zuversicht. Es waren diese Eigenschaften, die ihn zum geborenen Anführer machten, denn in seiner Gegenwart fühlte man weder Furcht noch Feigheit. Hätte er jetzt hier neben ihr gesessen, sie hätte die sternenklare Nacht sogar genießen können, das leise Rauschen der Wellen, das Wispern der Palmblätter. Ach, Zé! Sie begann zu weinen.
    Sie musste sich in den Schlaf geweint haben, denn als sie die Augen wieder aufschlug, verfärbte der Nachthimmel sich kaum merklich zu einem blauvioletten Ton. Im Sommer ging die Sonne in Bahia immer schon sehr früh auf, so dass sie schätzte, es müsse etwa fünf Uhr morgens sein. Sie hatte tief und fest geschlafen, und Kasindas Prophezeiung, sie würde süß träumen, hatte sich bewahrheitet, wenngleich sie den Traum nicht hätte wiedergeben können. Aber er war angenehm gewesen und hatte ein wohliges Gefühl hinterlassen.
    Sie brauchte eine Weile, bevor sie sich wieder in der Wirklichkeit zurechtfand. Sie war gestrandet, im wahrsten Wortsinn, und hockte allein und unglücklich an einem feinsandigen Strand, nur im Besitz einiger zerlumpter Kleidungsstücke und mit allein einer dünnen Decke zu ihrem Schutz. Sie fühlte sich wie eine Schiffbrüchige, wobei die sich ja über das Erscheinen anderer Menschen gefreut hätte, da sie in ihnen Hilfe sah. Lua hingegen vermutete in jeder anderen Person zunächst einen Feind.
    Sie wusch sich im Meer, was, da gerade Flut herrschte, ein bisschen umständlich war. Die Felsen waren bedeckt vom Wasser, so dass man, wollte man zu einem der Naturbecken gelangen, über die Steine gehen musste. Diese aber waren scharfkantig und rutschig. Lua gab ihr Unterfangen auf, da sie fürchtete, zu stürzen und womöglich zu ertrinken. Stattdessen kniete sie sich an den Rand und schaufelte mit ihren zu einer Schale geformten Händen Wasser auf sich. Der Strand war zu einem sehr schmalen Streifen zusammengeschrumpft, der nichts mehr von der grandiosen, weitläufigen Kulisse bei Ebbe hatte. Es bedrückte Lua irgendwie, als sei ihre Freiheit um ein weiteres Stück beschnitten worden.
    Sie erklomm wieder eine Palme, um

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