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Das Lied des Kolibris

Das Lied des Kolibris

Titel: Das Lied des Kolibris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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erwies sich als leicht. Es gab eine Schankwirtschaft, in der die freien Schwarzen, die in den Minen arbeiteten, ihren Hungerlohn versoffen. Dort stellte man mich gegen Kost und Logis dankbar als Mädchen für alles ein, ohne allzu viele Fragen zu stellen. Ich behauptete, ich sei eine Freie, habe aber meine Freilassungspapiere unterwegs verloren. Es kümmerte niemanden sonderlich. Der Wirt war froh, eine tüchtige Frau gefunden zu haben, die kochen, putzen und waschen konnte, die aber zugleich nicht mehr jung genug war, um seine Gäste verrückt zu machen. Er hieß Sopa, »Suppe«, aber niemand verriet mir, wie er an diesen Spitznamen gekommen war. Er war ein Mulatte in mittleren Jahren, der nach dem Tod seiner Frau und seiner beiden Töchter verbittert war und keinerlei Ziele mehr im Leben besaß. Er hätte mit dem Goldstaub und den Edelsteinsplittern, die er in seiner Wirtschaft verdiente, ein sorgenfreies Leben in Salvador führen können, aber er schien sich in der Gesellschaft anderer verlorener Seelen wohler zu fühlen.
    Die Sklaven des Schinders, so verriet Sopa mir, seien die Ärmsten von allen. Sie bekamen wenig zu essen und hausten in undichten Zelten, die viel zu klein für die Anzahl der Männer waren, die man dort hineinpferchte. Sie wurden von früh bis spät in die Minen geschickt, die schlecht gesichert waren. Wenn ein Stollen einbrach, dann ließ man eventuelle Überlebende einfach darin sterben, weil die Rettungsmaßnahmen zu aufwendig für die paar »kaputten Neger« waren. Ich hoffte inständig, Muhongo sei vielleicht doch bei einem anderen Herrn gelandet.
    Doch schon wenige Tage später erwies sich diese Hoffnung als unbegründet. Ich hatte verschiedene Minen beobachtet, bis ich irgendwann in dem Zug der angeketteten, gequälten Männer das Gesicht meines Mannes ausmachte. Ein Ausdruck unendlichen Leids lag darin.
    Man hatte seinen Stolz gebrochen – und mir das Herz.

41
    B ist du … in anderen Umständen?«, fragte Zé Lua geradeheraus, als sie aufwachte.
    Er war offenbar schon länger auf den Beinen, denn sein Haar war nass. Er hatte wohl ein Bad im Meer genommen.
    Lua gähnte, um Zeit zu schinden, dabei war sie plötzlich hellwach. Seine Frage hatte jeden Gedanken an Weiterschlafen oder Dösen mit einem Schlag zunichtegemacht.
    »Was?«, fragte sie lahm.
    »Erwartest du ein Kind?«
    »Wie kommst du darauf?«
    Er zögerte einen Augenblick, als dächte er ernsthaft über eine Antwort nach. »Weil sich die Hinweise darauf mehren. Deine Heimlichtuerei mit Kasinda. Deine morgendliche Übelkeit. Das Ausbleiben deiner Regel.«
    »Also bitte, Zé!« Ihre Ohren wurden glühend heiß. Über die Vorgänge des weiblichen Körpers hatten Männer nichts zu wissen. Es war in höchstem Maße unanständig, darüber zu reden.
    »Deine Schamhaftigkeit ist völlig unangebracht, Lua. Ich habe dich gesund gepflegt und kenne deinen Körper fast genauso gut wie meinen eigenen. Also antworte mir bitte.«
    »Ich … weiß es nicht.« Dabei wusste sie es sehr wohl. Es war genau, wie er gesagt hatte: Die Anzeichen für eine Schwangerschaft häuften sich, und sie war mittlerweile fest davon überzeugt, dass sie sein Kind unter dem Herzen trug.
    Zé starrte sie eine Weile schweigend an. Sie ahnte, was ihm durch den Kopf ging. Wenn sie tatsächlich ein Kind erwartete, würde sich ihre ohnehin schon schwierige Lage noch deutlich verschärfen. Ein Kind – sein Kind – würde Zé niemals der Willkür der Senhores ausliefern. Er würde es allerdings ebenso wenig in Liberdade aufwachsen sehen wollen. Auch unter günstigen Umständen war die Sterblichkeit unter Neugeborenen hoch. Im Urwald mit seinen Mückenschwärmen, der stickigen Luft und den prekären hygienischen Zuständen wäre die Überlebenschance eines Babys sehr gering.
    »Die Indios bekommen auch Kinder«, sagte er matt, als hätte er Luas Gedanken gelesen und versuchte nun, die Argumente zu entkräften.
    »Die Indios bekommen auch Kinder – und sie verlieren viele davon.« Sie wusste es nicht einmal genau. Waren die Indios vielleicht rein körperlich besser für ein Leben im Urwald gewappnet? Sogen ihre Kinder schon mit der Muttermilch einen inneren Schutz auf, der sie gegen Mücken und andere Widrigkeiten abhärtete?
    »Wolltest du deshalb ins Wasser gehen? Weil du ein Kind in dir trägst?« Er klang unendlich traurig, als habe sie absichtlich und mutwillig einen Mordanschlag auf seine Brut verübt.
    »Ich sagte doch, dass ich gar nicht weiß, ob ich in

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