Das Lied des Kolibris
stark.«
Natürlich bin ich das, dachte Mbómbo bei sich. Und natürlich hätte er gern männlichere Tätigkeiten ausgeübt. Aber inzwischen war er so weit, dass er alles getan hätte, selbst allereinfachste Arbeiten, die von Kindern erledigt wurden, um nur ja nicht länger zur Tatenlosigkeit verdammt zu sein. Denn nichts war schlimmer, als den ganzen Tag lang nichts zu tun, außer als Anschauungsstück für die Indios herumzulungern. Manchmal fühlte er sich wie ein angeketteter Hofhund, dem man gefahrlos ein paar derbe Streiche spielen durfte, der aber meist unbeachtet blieb und den halben Tag im Staub lag und döste.
Apoenã wusste selbst, dass er den Gefangenen nicht bis in alle Ewigkeit als Kuriosität behalten konnte. Entweder brachte man ihn in die Stadt und strich das Geld ein, das zweifellos für den entflohenen Sklaven bezahlt wurde, denn um einen solchen handelte es sich laut Bomboms eigener Aussage. Oder er ließ sich eine vernünftige Verwendung für ihn einfallen. An die Möglichkeit, ihn laufenzulassen, dachte Apoenã nicht.
Doch beide Alternativen wollten dem Häuptling nicht recht gefallen. In die Stadt zu gehen und einen Menschen an die weißen Bestien zu verkaufen, die auch die Indios erbarmungslos versklavt und ermordet hatten, widerstrebte ihm zutiefst. Ihn dagegen im Dorf zu behalten, wo er als einer der Ihren leben sollte, kam auf Dauer ebenso wenig in Frage. Denn darin unterschieden sich Weiße, Indios und Schwarze überhaupt nicht voneinander: Die eigene Hautfarbe war die schönste und edelste, und eine Vermischung mit anderen galt als Schande.
»Häuptling Apoenã denkt darüber nach«, beschied er Mbómbo nach einer Weile und zog sich schweigend zurück.
Mbómbo dachte seinerseits ebenfalls nach. Was konnte er noch tun? Er hatte den Indios bereits seine Lage erklärt, hatte ihnen angeboten, für das Land, das sie ihm zur Verfügung stellten, eine Art Pacht in Naturalien zu zahlen – aber sie hatten ihn verhöhnt. Sein Schicksal bei den Eingeborenen wollte ihm noch erbärmlicher als jenes erscheinen, das ihn bei den Portugiesen ereilt hatte. Doch dann, eines Tages, kam ihm die rettende Idee.
Die Indios bereiteten sich auf ein wichtiges Fest vor, bei dem die jungen Männer ihre Fähigkeiten als Krieger und Jäger aneinander erprobten. Es würde Schaukämpfe geben – und Mbómbo war entschlossen, daran teilzunehmen und sich die Achtung des Stammes zu erwerben. Vielleicht würden sie ihn, wenn er im Ringkampf glänzte, mit mehr Ehrerbietung behandeln und ihn nicht einfach nur als nutzlosen Bombom betrachten. Er wartete auf eine günstige Gelegenheit, um dem Häuptling sein Ansinnen vorzutragen.
Apoenã schien abermals vor Belustigung kaum an sich halten zu können. »Bist du erprobt im Umgang mit Pfeil und Bogen? Wie schnell kannst du ein Kanu rudern? Und kannst du es mit unseren Ringern aufnehmen, die zu den besten diesseits des Horizonts zählen?«
»Ja!«, rief Mbómbo. »Ja, ringen kann ich. Und alles, wobei Kraft und Körperbeherrschung benötigt werden.« Dass er niemals mit Pfeil und Bogen hantiert, geschweige denn in einem Kanu gesessen hatte, sagte er nicht.
Der Häuptling schmunzelte. Es war gar keine schlechte Idee, den großen schwarzen Mann teilnehmen zu lassen. So würden auch die jüngsten Burschen seines Stammes den einen oder anderen Sieg davontragen können, außerdem hätten sie alle viel zu lachen.
»Häuptling Apoenã denkt darüber nach«, lautete die Antwort wieder.
Diesmal gelangte der Häuptling schnell zu einer Entscheidung, die er Mbómbo am nächsten Tag mitteilte. »Du darfst teilnehmen. Wenn du verlierst, musst du sterben. Wenn du besser bist als wenigstens einer meiner Männer, musst du Frauenarbeiten verrichten, bis wir entschieden haben, was dann mit dir geschieht. Wenn du gewinnst, darfst du das Land am Fluss, auf dem wir dich gefangen haben, behalten und es bewirtschaften.«
Mbómbo war außer sich vor Freude. Er würde gewinnen, das stand für ihn fest. Er würde sich die Erlaubnis erteilen lassen, in einigen Disziplinen zu üben, damit er darin eine Chance hatte. Wie schwer mochte es schon sein, einen Einbaum zu rudern? Bei den Indios sah es kinderleicht aus. Er würde so verbissen kämpfen, dass der Stamm noch Generationen später davon berichten würde. Und er würde sein Land bekommen.
Man gestattete ihm tatsächlich, mit einem schlecht gespannten Bogen und stumpfen Pfeilen in das Dickicht des Waldes zu gehen und Vögel zu jagen.
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