Das Lied des Todes
Gähnen, während Rothard und seine Begleiter gingen. Durch die geöffnete Tür schwappte frische Luft in den stickigen Raum.
Brun hatte in dieser Nacht, wie in vielen Nächten zuvor, kaum geschlafen. Meist waren es die vielen Dinge, an die er zu denken hatte und die organisiert werden mussten, die ihn nicht zur Ruhe kommen ließen: die Unterkünfte für die königliche Familie und die Gäste, die Aufstellungen der Speisen und Getränke für das Festmahl, die Sitzordnung bei Tisch, das Tafelgeschirr, das in großer Anzahl vorgehalten werden musste, und und und.
Natürlich wäre es einfacher, nicht die ganze Organisation in der eigenen Hand zu behalten. Aber es fiel Brun schwer, die Kontrolle über das, was getan werden musste, abzugeben.
Und hatte ihm Rothards Beispiel nicht wieder einmal recht gegeben? Ob nun 10 oder 15 Schwäne aufgetischt wurden, mochte für einen Außenstehenden eine Nebensächlichkeit sein. Für den König war es das nicht und daher auch für Brun nicht. Er war Ottos rechte Hand, und das ehrenvolle Amt hatte man ihm nicht von ungefähr anvertraut.
Als die Tür wieder geschlossen wurde und nur Wilhelm zurückgeblieben war, konnte Brun dem Drang nicht länger widerstehen und gähnte herzhaft.
In dieser Nacht hatte er noch über eine andere Sache gegrübelt. Während er sich von einer Seite auf die andere wälzte, hatte er sich immer wieder gefragt, wie Thankmar einzuschätzen war. Aus den wenigen Begegnungen erinnerte sich Brun an einen jungen Mann, der sich im Hintergrund hielt und nicht viel redete. Dennoch war er Brun im Gedächtnis geblieben, und Brun hatte kein gutes Gefühl bei dieser Erinnerung. Über den Grund hatte er lange nachgedacht und war schließlich zu der Überzeugung gelangt, dass es Thankmars Mimik war, die ihn irritierte. Es waren sein Blick und sein Lächeln. Ein Lächeln, das Brun noch bei der Erinnerung durch Mark und Bein ging. Es war das abschätzende Lächeln eines Jägers, der sein Opfer in die Enge trieb und zum tödlichen Schlag ausholte – eiskalt und berechnend.
«Er lässt Euch keine Ruhe, nicht wahr?»
Brun schaute auf. Wilhelm war vor den Tisch getreten.
Im Kamin knackte ein Scheit. Es klang wie ein Peitschenknall.
«Ja, ich habe über ihn nachgedacht», antwortete Brun.
«Das habe ich auch getan.»
«Und zu welchem Ergebnis seid Ihr gekommen?»
«Zu keinem – zumindest zu keinem definitiven. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Thankmar es wagen würde, den König anzugreifen.»
«Sein Vater ist nicht davor zurückgeschreckt», warf Brun ein. «Er hat versucht, Otto vom Thron zu jagen, und dafür mit dem Leben bezahlt. Das spricht meiner Ansicht nach durchaus dafür, dass der Sohn diese Familientradition fortführen will.»
«Aber der alte Thankmar hat seine Ansprüche öffentlich verkündet», meinte Wilhelm. «Ihr erinnert Euch sicherlich an das Gerede von dieser Urkunde, die ihn angeblich zu Heinrichs rechtmäßigem Thronerben mache.»
Natürlich erinnerte sich Brun. Allerdings hatte weder er noch irgendjemand anders diese Urkunde jemals zu Gesicht bekommen. Daher wurde allgemein angenommen, dass es das Schriftstück gar nicht gab.
«Es klingt für mich zudem durchaus nachvollziehbar», fuhr Wilhelm fort, «dass Thankmar dem König das Heer zur Verfügung stellen will. Wahrscheinlich hofft er, auf diese Weise seine Güter und Ländereien in der Grafschaft Mersburg zurückzubekommen.»
«Ein Akt der Buße also. Aber würde Otto ihm verzeihen?»
«Das könnt Ihr besser einschätzen. Ihr steht ihm näher als ich.»
Brun nickte nachdenklich. «Vielleicht würde der König Thankmar begnadigen. Immerhin braucht er für seinen Feldzug jeden Soldaten, und es wäre nicht das erste Mal, dass ein in Ungnade gefallener Mann auf eine solche Weise die Gunst des Königs zurückerlangt.»
«Dennoch zweifelt Ihr an Thankmars Absicht?»
Brun betrachtete nachdenklich seine Fingernägel. «Es kann sein, dass ihm die alten Besitztümer seiner Familie nicht ausreichen.»
«Ihr meint, er will mehr?»
«Vielleicht will er alles …»
Brun verstummte, als mit einem Mal auf dem Gang laute Geräusche zu hören waren. Dann klopfte es.
«Hier ist jemand, der Euch sprechen will, Herr», rief einer der Soldaten.
«Ich habe zu tun!», entgegnete Brun.
«Aber … er weigert sich, wieder zu gehen.»
Brun warf Wilhelm einen irritierten Blick zu. Drei Männer hatte Brun vor der Tür postiert. Drei kräftige bewaffnete Männer aus seiner Leibgarde! Und
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