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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Kisten auch noch einen Knöchel verrenkt hatte. Man war übereingekommen, dass die beiden Dänen bei der nächsten Gelegenheit ihre Sklavin verkaufen mussten. Mit dem Erlös sollten sie wenigstens einen Teil des Schadens begleichen.
    «Rudert!»
    Asny hörte Grim stöhnen. Er hatte Akis Platz auf der Ruderbank eingenommen und saß neben ihr. Asny biss die Zähne zusammen und zog den Riemen durch.
    Immer wieder tauchten die Bilder der Schreckensnacht vor ihrem inneren Auge auf. Das Feuer, der brennende Mast, Akis vor Schreck aufgerissene Augen, als er über Bord fiel, und sie hörte seinen Schrei. Es war nur ein einziges Wort, das er herausgeschrien hatte – ihren Namen.
    Noch im Angesicht des Todes hatte er an sie gedacht, hatte sich mehr um ihr Leben gesorgt als um sein eigenes. Asny musste bei diesem Gedanken so heftig den Kopf schütteln, dass Grim sich zu ihr wandte und irgendetwas knurrte.
    Sie wollte nicht glauben, dass Aki wirklich tot war. Tief in ihrem Innersten fühlte sie, dass er am Leben war, dass er es geschafft hatte, auch wenn es schier unmöglich schien. War es nur der winzige Funken Hoffnung, an den sie sich klammerte, um nicht den letzten Willen für ihr eigenes Überleben aufzugeben? Oder war es eine Gewissheit, die sich aus dem Bewusstsein nährte, das nur Zwillinge haben können? Immer waren sie zusammen gewesen, schon im Leib ihrer Mutter, die die Kinder der Götter ausgetragen hatte, wie sie es nannte.
    Während der Wattenvogel über die Stromschnellen des Rhenus dahinglitt, erinnerte sie sich an eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen sie von Aki für eine längere Zeit getrennt gewesen war. Sie waren damals sechs oder sieben Jahre alt, so genau wusste Asny das nicht mehr. Dafür konnte sie sich an die Ereignisse und vor allem an das Gefühl erinnern, das sie während dieser Tage hatte. Aki war nicht heimgekehrt, nachdem er allein auf die Jagd in die Wälder bei Haithabu gegangen war. Velva und Asny hatten überall nach ihm gesucht. Vergebens. Dennoch hatte Asny die ganze Zeit das Gefühl gehabt, dass ihm zwar etwas zugestoßen war, dass er aber noch lebte. Und so entdeckten sie ihn schließlich doch noch – verborgen im dichten Unterholz, wo Grim und seine Freunde ihn an einen Baum gefesselt hatten. Aki wäre verdurstet und verhungert, wenn Asny nicht auf ihr Gefühl vertraut hätte. Es war ihr gelungen, Velva, die trotz ihrer seherischen Fähigkeiten die Hoffnung aufgegeben hatte, zu überreden, einen letzten Versuch zu unternehmen.
    Sie hatte sein Leben gefühlt, und dieses Gefühl war auch jetzt noch da. Irgendwo, wenn auch schwach.
    Die Stimme des Lotsen riss sie aus ihren Gedanken.
    «Die Burg!»
    Fulrad stemmte sich sofort gegen das Ruder und gab den Befehl, die Riemen an Steuerbord hart durchzuziehen.
    Das Schiff schwenkte aus der Flussmitte und nahm Kurs auf die Mündung eines Flusses, der sich hier mit dem Rhenus vereinte.
    Sie näherten sich der Diusburg.

52.
    Der Wattenvogel glitt in den Hafen der Diusburg, der, von einer weitläufigen Palisade umgeben, an der Einmündung des Flusses Rura in den Rhenus lag.
    Asny drehte sich auf der Ruderbank um und sah, dass das Wasser an der Anlegestelle sehr hoch stand. Einige Brücken waren überflutet. Ein gutes Dutzend Schiffe hatte hier festgemacht, andere hatte man ans Ufer gezogen. Viele der Schiffe waren breite Lastkähne, auf denen Menschen, Tiere und Wagen von dieser Seite auf die andere Seite des Rhenus transportiert wurden.
    Die Fährleute machten in diesen Tagen gute Geschäfte. Das Ufer des Hafens war voller Menschen, die auf eine Passage warteten. In der kurzen Zeit, die der Wattenvogel durch die Mündung des Nebenflusses gefahren war, waren ihnen zwei vollbesetzte Fähren entgegengekommen, und gerade legten zwei weitere ab.
    «Die verschiffen wohl ein ganzes Heer», sagte Fulrad.
    Er warf Grim einen Blick zu und ergänzte: «Wo viele Menschen sind, kann man gute Geschäfte machen.»
    Grim nickte kurz, während er wie die anderen Ruderer den tropfenden Riemen über der Oberfläche hielt. Der Wattenvogel verlor allmählich an Fahrt. Fulrad steuerte ihn zu einem der wenigen freien Anlandeplätze und manövrierte das Schiff an anderen Kähnen vorbei. Sie hatten kaum angelegt, als sich eine Menschenmenge versammelte und Männer, Frauen und Kinder das ausgebrannte Schiff betrachteten.
    Asny bemerkte einen Mann in einem Fellmantel, der sich in Begleitung von zwei mit Lanzen bewaffneten Soldaten durch die Schaulustigen drängte.

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