Das Lied des Todes
Fulrad trat an die Rampe und wechselte mit dem Mann einige Worte in einer Sprache, die Asny nicht verstand. Schließlich reichte Fulrad seinem Gegenüber zwei Silbermünzen als Hafengebühr, woraufhin der Fellmantel und die Soldaten wieder verschwanden.
Fulrad trat vor die Mannschaft. «Unsere Reise endet vorerst in diesem Hafen. Es soll hier tüchtige Bootsbauer geben, die den Wattenvogel überholen werden.»
Er wandte sich an Grim. «Sieh zu, Däne, dass du deine Sklavin so schnell wie möglich verkaufst, und dann bring mir sofort mein Geld. Ich muss den Bootsbauern eine Anzahlung leisten.»
Grim murmelte etwas und erhob sich von der Ruderbank. Er nahm das Seil, das er am Gürtel trug, und legte Asny die Schlinge um den Hals. Er zog die Schlinge zu, bis sie den Druck der rauen Fasern spürte.
«Nimm mich mit!», krächzte eine Stimme.
Zum ersten Mal seit der Feuernacht stand Geirmund von seinem Lager auf und kam auf einen Stock gestützt angehumpelt. Der Alte hatte sich den rechten Fuß verletzt, als die Kisten über ihn gefallen waren. Sein Gesicht war noch immer bleich wie eine gekalkte Wand. Aber sein Husten schien sich gebessert zu haben.
«Du kannst doch kaum gehen», meinte Grim.
«Ich gehe besser, als du verhandelst, Junge. Ohne mich wirst du nicht einmal ein Huhn los.»
Einige Männer an Bord lachten.
Geirmund zog seinen Sohn zu sich heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er sprach leise, aber Asny hörte seine Worte. «Sobald wir die Sklavin verkauft haben», flüsterte der Alte, «verschwinden wir – natürlich mit dem Geld.»
Grims Augen leuchteten auf. Er hakte seinen Vater unter. Doch als sie sich auf den Weg machen wollten, versperrte ihnen Fulrad an der Rampe den Weg.
«Nicht so schnell!», knurrte der Schiffsführer. «Fokko und Ubbo gehen mit. Ich will euch unter Beobachtung haben.»
Sie kamen an Bootsschuppen und Fischerhütten vorbei und folgten dann einem breiten Weg, der zur Königspfalanza führte. Sie war von einer Steinmauer und einem Graben umgeben, und schon von weitem sah Asny die Kirche und den Palas. Die großen, aus Stein errichteten Gebäude waren beeindruckend. Bei dem Anblick ahnte Asny, wie die Stadt Colonia aus Ketils Erzählungen aussehen mochte. Aber sie hatte die Hoffnung, den Mönch wiederzusehen, längst aufgegeben. Was wohl geschehen würde, wenn Grim und Geirmund einen Käufer für sie fanden? Sie wusste es nicht. Ihr Schicksal lag im Ungewissen. Vielleicht geriet sie an einen Mann, der sie schlagen und missbrauchen würde, vielleicht kam sie in eine Familie, in der Sklaven nicht wie Hunde getreten wurden. Wahrscheinlicher war die erste Möglichkeit.
Ihr Magen krampfte sich zusammen. Wenn doch nur Aki hier wäre …
Je näher sie der Burg kamen, desto mehr Menschen füllten den Weg. Bald ging es nur noch stockend voran, und sie waren gezwungen, in einem dichten, zähfließenden Strom mitzuschwimmen. Asny sah Soldaten in Kettenhemden und Brünnen, Bauern, die Kühe und Ochsen mit sich führten, andere Männer zogen mit Töpfergefäßen beladene Karren, deren hölzerne Räder über die Bohlen rumpelten. Die Tonwaren waren mit Rädchenverzierungen versehen. Sie stammten, wie Fokko altklug erläuterte, aus den nahen Töpfereien, die für diese Produkte weithin bekannt seien.
Nach einer Weile erreichten sie den Markt. Der Platz hatte gewaltige Ausmaße und war mit der Friesensiedlung Staveran nicht zu vergleichen. Unterhalb der Burgmauer erstreckte sich der Markt über eine Länge von einer halben Meile. Dicht an dicht standen feste Buden, dazwischen hatte man Stände errichtet. In den schmalen Gängen wimmelte es von Menschen.
Fokko, der die Sprache der Einheimischen beherrschte, fragte sich zum Sklavenmarkt durch und führte die anderen zu einem vom übrigen Markt durch eine Palisade abgegrenzten Bereich.
Grim stieß einen wüsten Fluch aus, als sie hinter den Holzzaun traten. Der Sklavenmarkt platzte aus allen Nähten. Auf Grim und Geirmund wartete eine übermächtige Konkurrenz. Dutzende Händler boten ihre Sklaven an: kräftige Männer und Frauen, von denen viele deutlich jünger als Asny waren, darunter auch Kinder. Es gab sogar Sklaven mit dunkler Hautfarbe, die aus Ländern weit entfernt im Süden stammten, dort, wo immer die Sonne schien.
Grim entdeckte im Gedränge eine freie Stelle und beeilte sich, Asny dorthin zu manövrieren, bevor ein anderer Händler den Platz besetzte. Fokko und Ubbo, die den hinkenden Geirmund untergehakt hatten, kamen
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