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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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von den Fürsten gewählt und vor Gott gekrönt werden. Wen würden die Fürsten wohl wählen? Einen der Ihren! Ich bin jedoch nur ein Graf, ein unbedeutender Graf, der in der Einöde über eine Handvoll ungewaschener Dänen gebietet, wie Euer Berater festgestellt hat. Also habe ich beschlossen, im Dienste der Gemeinschaft und im Sinne der Gerechtigkeit von meinem Anspruch zurückzutreten.»
    «Ach?» Evurhards Mund blieb offen stehen.
    «Ja, ich bin überzeugt, dass auch Gott so entschieden hat!», legte Thankmar nach.
    Poppo nickte heftig. Erwartungsgemäß gefiel ihm eine solche Aussage.
    Evurhard und Huga starrten Thankmar an, als habe der soeben verkündet, sich freiwillig enthaupten zu lassen.
    «Wen hat Gott Eurer Meinung nach dazu auserkoren?», fragte Evurhard.
    Thankmar verbeugte sich. «Euch, Herr! Nur Euch! Euer Vater hat damals in einem Akt großer Weitsicht zugunsten meines Großvaters auf den Thron verzichtet. Es ist nun an der Zeit, die Königswürde wieder in die Hände Eurer Familie zu legen.»
    Evurhard glühte vor Begeisterung. Anders als Huga. Der Berater bedachte Thankmar noch immer mit einem Blick, in dem große Skepsis lag.
    «So ist es!», rief Evurhard. «Ihr sprecht die Wahrheit, Markgraf!»
    «Wir sollten nun aufbrechen …», warf Huga ein.
    «Gleich, gleich», unterbrach ihn der Herzog. «Sagt, Markgraf, werdet Ihr Euren Eid auf mich schwören, wenn im Frühjahr der Zeitpunkt gekommen ist?»
    Thankmar verbeugte sich abermals. «Ich werde Euch ein treuer und ergebener Diener sein – so wie mein Vater Eurem Vater gedient hätte.»
    Evurhard trat vor ihn und legte ihm die rechte Hand auf die Schulter. «Und werdet Ihr Euer Schwert ziehen für mich und meinen Sieg?»
    Natürlich werde ich das tun, dachte Thankmar. Ich werde meine Klinge in deinem Blut baden!
    Stattdessen schwor er feierlich: «Mein Schwert und mein Leben für meinen König!»

27.
    «Eine überzeugende Vorstellung», sagte Poppo anerkennend.
    Sie standen vor der Burg und schauten den Franken hinterher, bis diese in den Wäldern verschwunden waren.
    «Ich hoffe, Ihr verzeiht mir», sagte Thankmar, «dass ich den Namen des Allmächtigen für mein kleines Täuschungsmanöver … nun ja, bemüht habe.»
    «Ich?», entgegnete Poppo. «Vergeben kann Euch nur Gott allein. Aber ich werde ein gutes Wort für Euch einlegen.»
    Offenbar hatte der Bischof dies als Scherz gemeint, denn auf seinen Lippen zeigte sich eines der seltenen Lächeln, bei dem seine Augen so kalt blieben wie die eines Henkers.
    Thankmar spürte einen kühlen Zug auf seinem Gesicht. Aber es war mitnichten der Atem Gottes, sondern lediglich eine frische Böe, die über den Vorplatz wehte. Von Norden her kamen schwere Wolken auf. Der Himmel verdunkelte sich.
    Thankmar würde sich beeilen müssen, um erledigen zu können, was er sich vorgenommen hatte.
    Poppo folgte ihm durchs Tor in die Burg. Sie trafen auf Ernust, der bei den anderen Soldaten stand. Als Thankmar ihn zu sich winkte, kam der Hauptmann mit schuldbewusster Miene auf ihn zu. Wahrscheinlich befürchtete er, sein Herr werde ihm nun Vorhaltungen wegen des geflohenen Jungen machen. Aber Thankmar forderte ihn lediglich auf, sein Pferd zu satteln. Ernust lief zum Stall und kehrte kurz darauf mit dem Rappen zurück.
    «Ich werde bald zurück sein», sagte Thankmar, als er auf dem Pferd saß. «Sorg inzwischen dafür, Ernust, dass ein Dutzend Männer zum Abmarsch bereit ist. Wir werden noch heute Abend mit der Suche nach der Seherin beginnen.»
    «Darf ich Euch fragen, wohin Ihr zu reiten gedenkt?», wollte der Bischof wissen. Ein Windstoß zerrte an seiner Kutte.
    «Sicher dürft Ihr fragen», erwiderte Thankmar. «Aber ich kann Euch nur sagen, dass Ihr die Antwort darauf bald erfahren werdet.»
    Poppo zog die Augenbrauen zusammen, fragte aber nicht weiter nach.
    «Sollte ich Euch nicht begleiten, Herr?», warf Ernust ein. «Es wird Regen geben, vielleicht sogar Sturm …»
    «Ein Dutzend Männer, heute Abend», rief Thankmar im Befehlston. «Wir werden die Seherin jagen!»
    Er trat dem Rappen in die Flanken und ritt durchs Tor, den Wäldern entgegen.
     
    Das Wetter verschlechterte sich zusehends.
    Dicht über den Wipfeln jagten schmutzig graue Wolken dahin. Wie der Atem eines Ungeheuers fauchte der Wind, schüttelte die Bäume und riss die letzten Blätter von Ästen und Zweigen.
    Thankmar ritt, so schnell er konnte. Bald würde er die Stelle erreichen, an der er den Weg verlassen musste. Etliche Male

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