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Das Lied des Todes

Das Lied des Todes

Titel: Das Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Schmuck, Bernstein und Waffen zu der Burg zurückgekehrt, auf der sie die Winter verbrachten. Die Burg, über die Pálnirs Vater herrschte, befand sich an der südlichen Küste des Baltischen Meeres in der Nähe der von Slawen bewohnten Stadt Jumne. Es war der Dänenkönig Harald Gormsson gewesen, der diese Burg vor einigen Jahren hatte errichten lassen, mit der Duldung der Slawen. Im Gegenzug mussten die Dänen die slawische Stadt beschützen und sich bei ihren Raubzügen von Jumne fernhalten, um den Seehandel nicht zu gefährden.
    Bislang hatten sich die Dänen an diese Abmachung gehalten. Pálnir würde es wohl auch in diesem Jahr tun, dachte Hakon. Auch wenn es für ihn sicher verlockend war, in den seichten Gewässern rund um Jumne ein Handelsschiff aufzubringen, damit er nicht mit leeren Händen zu seinem Vater zurückkehren musste.
    Hakon konnte nur zu gut verstehen, dass Pálnir nicht den Zorn seines Vaters auf sich ziehen wollte. Daher würde er dem Schiffsführer helfen. Er war sein Freund geworden, sofern man in dieser vom Schicksal geformten Gemeinschaft von Freundschaft sprechen konnte. Es war eine Gemeinschaft, in der es oftmals allein ums nackte Überleben ging. Aber Hakon achtete, respektierte und vertraute Pálnir, und er merkte immer wieder, dass sie nicht nur in Bezug auf ihre Väter Gemeinsamkeiten hatten.
    Beide waren schweigsame Männer, die nur redeten, wenn es etwas Wichtiges mitzuteilen gab. Abendelang konnten sie nebeneinander an der Bordwand stehen, aufs Meer schauen, schweigen und ihren Gedanken nachhängen. Auch ohne Erklärungen von Pálnirs Seite spürte Hakon, dass er ein Mann mit Sehnsüchten war, die nicht allein durch Münzen, Edelsteine und Blut gestillt werden konnten.
    Nein, es ging ihm um mehr. Ebenso wie Hakon war Pálnir ein Getriebener, dessen Leben durch schreckliche Ereignisse aus dem Lot geraten war. Für Hakon war dies der Überfall des Markgrafen, der zu Thoras Tod geführt und seinem Leben eine entscheidende Wende gegeben hatte. Was es für Pálnir war, wusste Hakon nicht. Er hatte ihn niemals danach gefragt und würde es auch nicht tun.
    Angetrieben von einem schwachen Wind, glitten sie südwärts an der Küste entlang.
    Vielleicht finden wir ja wirklich ein an den Schären zerschelltes Schiff, um es wie die Aasfresser auszuplündern, überlegte Hakon.
    Die Luft war bereits herbstlich frisch, der wolkenverhangene Himmel grau und trist. Auf einer flachen Schäre rekelten sich Robben. Ob sie versuchen sollten, eines der Tiere zu erlegen, damit die Männer endlich wieder Fleisch zu essen bekamen? Allerdings wäre es riskant, den Wellenspalter zwischen die Schären zu manövrieren. Zudem machten die Tiere zwar einen trägen Eindruck, konnten aber schnell fliehen, wenn sie Gefahr witterten.
    Hakon verwarf den Gedanken. Er wollte sich gerade nach dem Mast umdrehen, der wieder einmal knirschte, als er über den Küstenwäldern dünne Rauchsäulen in den blassgrauen Himmel aufsteigen sah.
    Auch der Rabe hatte den Rauch bemerkt und stieß ein anhaltendes Krächzen aus.
    Hakon drehte sich um, formte mit den Händen einen Trichter um den Mund und rief nach Pálnir. Der Schiffsführer war damit beschäftigt, mit anderen Männern Wasser aus dem Bug zu schöpfen. Als er Hakons Stimme hörte, stellte er den Eimer ab und kam zum Vordersteven.
    Wortlos zeigte Hakon, was er gesehen hatte. Pálnir kniff sein rechtes Auge zusammen. Das linke hatte ihm vor zwei Jahren ein Sachse bei einem Überfall ausgestochen. Hakon hatte den Angreifer mit dem Schwert erschlagen, bevor dieser Pálnir töten konnte. Seither schuldete ihm Pálnir etwas.
    «Wo Rauch ist, sind Menschen», sagte er. «Und wo Menschen sind, gibt es Beute. Wir sollten den Versuch wagen.»
    «Ist es denn das, was in Thors Sinne eine günstige Gelegenheit wäre?», entgegnete Hakon.
    Pálnir zuckte mit den Schultern. «Da ist Rauch. Da sind Menschen, und vielleicht ist da etwas zu holen.»
    Hakon stimmte zu, gab aber zu bedenken, dass sie nicht mehr weit von der Insel Hising in der Mündung des Flusses Gautelf entfernt sein konnten. Dort standen mehrere Höfe. Ein Raubzug in einer belebten Gegend war riskant.
    Doch Pálnir hatte bereits eine Entscheidung getroffen. Er befahl dem Mann am Ruder, Kurs auf die Schären zu nehmen. Die aus Walrosshäuten gedrehten Taue, die das Segel hielten, knirschten, und der Mast knackte wie ein alter Knochen. Das Schiff drehte bei.
    Hakon wurde das Gefühl nicht los, dass sie einen Fehler

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