Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
Anna, » mir geht es ähnlich. Mittlerweile gibt es ein paar Anhaltspunkte dafür, dass mein Mann noch am Leben sein könnte. Bitte, könnt Ihr mir Auskunft geben, wie der … Leichnam ausgesehen hat? « Die letzten Worte hatte sie nur noch geflüstert.
» Seid Ihr sicher? «
» Ich brauche Gewissheit. Bitte, beschreibt mir den Toten. «
» Also gut. Kommt mit mir nach hinten. Dort können wir uns setzen und uns in Ruhe unterhalten. « Er gab einem Gesellen, der abwartend im Raum stand, die Anweisung, auf den Laden zu achten.
Anna folgte dem Instrumentenbauer in den rückwärtigen Raum. Mit einer galanten Geste bedeutete Münzberger ihr, sich in einen Lehnstuhl ihm gegenüber zu setzen.
» Seid Ihr sicher, dass Ihr alles erfahren wollt? «
Anna nickte zaghaft.
In allen Einzelheiten beschrieb ihr Münzberger daraufhin das Aussehen des Leichnams und erwähnte auch die Brille, die Lamprecht und er etwas abseits des Toten gefunden hatten.
» Wie mir vor einiger Zeit zu Ohren gekommen ist, war Euer Gatte Maler? « , fuhr er fort.
» Ja, Korbinian war Buchmaler, ein sehr begabter sogar. Warum fragt Ihr? «
» Dann hat er gewiss mit der linken Hand gearbeitet, nicht wahr? «
Anna betrachtete ihn verdutzt . » Nein, wie kommt Ihr darauf? «
» Weil der Mann, den Lamprecht und ich gefunden haben, an der rechten Hand nur drei Finger besaß. «
Mit einem Male toste ein Rauschen in ihren Ohren. » Was sagt Ihr da? «
» Der Tote besaß weder Zeigefinger noch Mittelfinger, Frau Dietl. «
Wie vom Donner gerührt verharrte Anna. » Man hat mir berichtet, wilde Tiere hätten … «
Münzberger schüttelte den Kopf. » Nicht die rechte Hand, Frau Dietl. Sie war unversehrt. Bis auf die zwei fehlenden Finger eben. Die mussten schon länger … Was ist Euch? «
Das Rauschen in ihren Ohren verstärkte sich. Fehlende Finger. Schon länger. Alle Kraft schien plötzlich aus ihren Beinen zu weichen. Die Stimme Münzbergers hallte in ihr nach, wiederholte diese Worte wieder und wieder. Schließlich hielt Anna es nicht länger aus und erhob sich ruckartig. » Habt Dank. «
» Es tut mir leid, mehr kann ich leider nicht zu einer Aufklärung beitragen « , antwortete Münzberger und stand ebenfalls auf. » Ich bringe Euch nach draußen. «
» Korbinian lebt? «
Wie in einem Traum gefangen, in dem sie langsam einen Fuß vor den anderen setzte, ging Anna auf die Fleischbrücke zu.
» Korbinian lebt? Gott, steh mir bei. Er muss leben. «
Immer wieder flüsterten ihre Lippen diesen Satz. Münzberger und Lamprecht hatten einen Fremden begraben, es konnte gar nicht anders sein. Korbinian war am Leben. Irgendwo. Oder lag sein lebloser Körper verwesend an einem ihr unbekannten Ort? Anna fröstelte. Nein, tief im Inneren spürte sie Gewissheit. Hätte sie so lebensnah von ihrem Gemahl geträumt, wenn er längst in der Ewigkeit weilte? Sie musste es herausfinden. Eilig überquerte sie den Fluss, bis sie die Fassade des Rathauses vor sich sah. Ohne den Wächter zu beachten, riss sie das Tor auf. Indem sie jeweils zwei Stufen auf einmal nahm, lief sie die Treppe hinauf, den Gang zu Lienhart Hasenklevers Amtsstube entlang und klopfte.
» Frau Dietl … « Überrascht legte der Ratsangestellte, der vor einem Regal stand, ein Buch beiseite.
» Ich war bei Münzberger « , stieß sie atemlos hervor.
» Wollt Ihr Euch nicht setzen? «
Anna sank auf einen Stuhl, nur um im nächsten Moment wieder aufzuspringen und auf Hasenklever zuzustürzen. » Mein Mann lebt! Ich bin mir ganz sicher. «
Der Ratsangestellte trat unwillkürlich einige Schritte zurück. » Das freut mich für Euch, Frau Dietl. Was kann ich in der Sache für Euch tun? «
» Ihr müsst mir helfen, ihn zu finden. Bitte beauftragt ein paar Büttel, damit sie nach meinem Mann suchen. «
Der Alte ließ sich hinter seinem Schreibtisch nieder. » Büttel? Wie stellt Ihr Euch das vor? « Er schüttelte den Kopf. » Der Rat kann doch keine Männer losschicken, nur weil Ihr glaubt, Euer Gatte sei noch am Leben und halte sich irgendwo … ja, wo vermutet Ihr ihn überhaupt? «
» Ich weiß es nicht « , gab Anna zu.
» Aber dass er lebt, das wisst Ihr? Woher? «
» Die beiden Männer, die Ihr mir damals genannt habt, haben einen Fremden begraben. Wer auch immer der Tote sein mag, mein Mann war es jedenfalls nicht. «
» Wie Ihr meint. « Der Ratssekretär erhob sich. » Ich muss Euch dennoch bitten, zu gehen. Gleich findet eine Ratssitzung statt, bei der meine Anwesenheit
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