Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
erforderlich ist. Wenn Ihr herausgefunden habt, wo sich Euer Mann aufhält, lasst es mich wissen, Frau Dietl. Gott mit Euch. «
Wie betäubt trat Anna auf den Gang hinaus und blieb stehen. Was nun? Zögernd schritt sie an weiteren Amtsstuben und Kammern vorbei, in denen Männer die Geschicke der Stadt lenkten. Nur was wurde aus ihrem eigenen? Sie stieg die Treppe hinab. Ihr blieb wohl nichts anderes übrig, als es in die eigenen Hände zu nehmen. Hände. Was hatte Tassilo noch gesagt, als sie ihn und die anderen Bettler kennengelernt hatten? Das Mistvieh hat ihm glatt zwei Finger abgebissen. War Gottfried vielleicht doch nicht nach Straubing gezogen, sondern der Mann, den Lamprecht und Münzberger begraben hatten?
» Gott zum Gruß, Frau Dietl. «
Sie hob den Blick. Albrecht Dürer steuerte in Begleitung des stadtbekannten Kaufmanns Hieronymus Holzschuher durch die Halle auf sie zu. Es erschien ihr seltsam, dem Maler nicht in seinem Haus am Tiergärtnertor gegenüberzutreten, sondern im Rathaus. Aber dann erinnerte sie sich, dass Dürer ebenfalls Ratsmitglied war und als solches an der von Hasenklever erwähnten Sitzung teilzunehmen hatte.
Anna ergriff die Hand des Malers.
Albrecht Dürers grüne Augen musterten sie, während er sie festhielt. » Frau Dietl, ich habe den Eindruck, Euch bedrückt etwas. «
Mit wenigen Sätzen berichtete sie ihm, was sie vor kaum einer Stunde von Clemens Münzberger erfahren und wie der Ratsangestellte auf ihre Bitte reagiert hatte.
» Ich kann verstehen, dass Hasenklevers abschlägige Antwort Euch erzürnt, Frau Dietl « , meinte Dürer. » Um Korbinian zu suchen, braucht es sicherlich mehr als zwei Dutzend Männer. Bedenkt nur, wie groß das Gebiet ist, das abgesucht werden müsste. «
» So viele Büttel kann der Rat beim besten Willen nicht abstellen « , bestätigte Hieronymus Holzschuher. » Nicht, weil wir es nicht wollten – uns fehlen einfach die Männer für solche Unternehmungen. Mit Verlaub, ich frage mich auch, warum Euer Gatte sich nicht längst bei Euch gemeldet hat, wenn er noch am Leben ist. «
» Glaubt Ihr, diese Frage habe ich mir nicht selbst schon gestellt? « Sie straffte die Schultern. » Ich werde jedenfalls nicht aufgeben, nun, da mich neue Hoffnung erfüllt, meinen Mann vielleicht eines Tages wiederzusehen. Selbst wenn ich jede fränkische Schänke und jedes Spital persönlich aufsuchen muss, um mich nach Korbinian zu erkundigen. «
» Ich wünsche Euch viel Glück, Frau Dietl « , sagte Holzschuher. » Ihr seid eine mutige Frau. «
Sie wollte sich umwenden.
» Wartet. « Der Maler hob die Hand. » Vor Kurzem habe ich Korbinians Gesicht aus dem Gedächtnis als Vorlage für eine Zeichnung benutzt. Ich weiß zwar nicht, ob sie originalgetreu ist, könnte Euch aber heute Nachmittag eine Skizze mit dem Konterfei Eures Mannes anfertigen. Das Bild zeigt Ihr dann allen Leuten, bei denen Ihr Euch nach Korbinian erkundigt. «
» Das ist sehr freundlich von Euch. «
» Ich mache mich gleich nach der Ratssitzung an die Arbeit « , versprach Dürer. » Wenn Ihr wollt, könnt Ihr das Bild heute Abend abholen. «
Als Anna am späten Nachmittag zum Haus des Malers zurückkehrte, wartete die Hausherrin bereits begierig auf Neuigkeiten. Die Dürerin zog sie ins Innere. » Ist es wahr, was mein Mann mir soeben berichtet hat? Beim Allmächtigen! Kommt herein. Ihr müsst mir alles haarklein erzählen. «
Anna erklomm hinter der Hausherrin die Treppe.
» Albrecht sagte nur, Ihr wäret bei Clemens Münzberger gewesen und könntet Euch Hoffnungen machen, dass Euer Gatte möglicherweise noch am Leben ist? Ich bin fassungslos, meine Liebe! «
Anna folgte der Aufforderung, sich zu setzen. » Ja, das glaube ich « , erklärte sie atemlos. Allein diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen, diese Worte auszusprechen, ließ ihr Herz vor Erregung hüpfen. Wenn es nur wahr wird!, flüsterte es in ihr. Hätte ich doch bloß endlich die Gelegenheit, Korbinian zu gestehen, was er mir bedeutet. In ihr war ein nie gekanntes Kribbeln, sie wusste kaum, wie sie ihre Finger beschäftigen sollte. Sie suchte den Blick der Älteren. » Münzberger und Lamprecht müssen einen Fremden begraben haben, einen Mann, dem an der rechten Hand zwei Finger fehlen. Versteht Ihr, Frau Dürer? Der Tote kann gar nicht mein Korbinian sein. «
» Bei allen Heiligen, wenn Ihr recht hättet, liebe Freundin! « Agnes Dürer hatte sich ihr gegenüber gesetzt und beugte sich nun vor. » Was macht Euch so
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