Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
machen sollte. Allerdings ist die Situation für sie auch von besonderer Schwere. Sie wollte Euch sofort mit nach Hause nehmen, aber ich habe ihr davon abgeraten. «
» Warum das? «
» Ihr solltet mit der Rückkehr in die Stadt noch etwas warten, bis Ihr Euch ausreichend gestärkt fühlt, um Eurem Leben neu zu begegnen, Herr Dietl. «
Der Abt legte einen großen Stoffbeutel auf den Tisch. » Seht nur, was Eure Gemahlin heute für Euch hiergelassen hat. «
Korbinian beäugte das Mitbringsel nachdenklich. Er öffnete die Verschnürung und holte mehrere farbige Kreiden und drei zusammengerollte Papierbögen hervor. Auch seine Tonpfeife und einen Leinenbeutel, prall gefüllt mit getrockneten Kräutern, förderte er zutage.
» Ihr habt eine gute Frau « , bemerkte der Prälat und betrachtete die Zeichenutensilien interessiert. » Ihr seid ein angesehener Buchmaler, wie sie mir berichtete. «
Ein Buchmaler? Korbinian wog die Kreiden in der Hand. Ein Bild formte sich vor seinen Augen, ein Raum voller Bücher, ein Tisch mit Farben, Tiegeln, Pinseln und Stiften. Die Gestalten zweier Männer, die ihn aufgesucht hatten. Einer von ihnen schien ihm vertraut zu sein, aber der Name wollte ihm nicht einfallen.
» Nun könntet Ihr wieder malen « , sprach der Abt weiter.
Für eine Weile wurde es still zwischen ihnen.
» Ja, vielleicht. Wenn meine Hände mitmachen. Sie zittern manchmal unkontrolliert, wie Ihr wisst « , erwiderte Korbinian und ahnte, die Kreiden und Papierbögen würden vorerst unangetastet bleiben.
KAPITEL 48
A nna umfasste den Klingelzug der Abtei und zog kräftig daran. Seit ihrem letzten Besuch im Kloster hatte sie eine Woche verstreichen lassen. Im oberen Teil des Tores öffnete sich das Fenster, und ein rundes, runzeliges Gesicht erschien in der Öffnung. Wie bei allen Mönchen schmückte ein schmaler Haarkranz den kahl geschorenen Schädel. Die Wache musste gewechselt haben, denn der Mann war ihr unbekannt.
» Was ist Euer Begehr? «
» Mein Name ist Anna Dietl. Mein Gatte hat vor einiger Zeit hier im Kloster Aufnahme gefunden. « Sie zog die von Abt Wenck unterschriebene Genehmigung aus dem Beutel und zeigte sie dem Mann.
Ein Riegel wurde zurückgeschoben, und der Torhüter bedeutete ihr, näher zu treten. Anna bedankte sich und schlug wie gewohnt den Weg zum Haupthaus ein, in dem ihr ein Mönch mit einer spitzen, himmelwärts strebenden Nase entgegentrat, den sie bei einem ihrer Besuche als Bruder Titus kennengelernt hatte.
» Seid mir gegrüßt, Frau Dietl. Heute ist es also so weit, nicht wahr? «
» Ja, heute werde ich meinem Mann nach Wochen endlich zum ersten Mal gegenübertreten. «
» Gut. Gehen wir in den Klostergarten. «
Sie passierten mehrere Häuser und schritten an der Klosterkirche vorbei. Da war die Gartenanlage, über deren Mauer hinweg sie Korbinian bei ihren Besuchen immer wieder aus der Ferne beobachtet hatte. Anna öffnete das halbhohe Türlein. Zwischen den Gemüsebeeten waren mehrere Männer in einfachen Kutten mit der Ernte beschäftigt. Ihr Herz setzte für einen Schlag aus, als Bruder Titus auf eine schlaksige Gestalt zeigte, die vornübergebeugt am Anfang eines Mangoldbeetes hockte, mit einem Messer Blätter abschnitt und in einen großen Weidenkorb fallen ließ.
Der Mönch trat neben Korbinian.
» Franz, du hast Besuch. « Diskret entfernte er sich.
» Korbinian « , flüsterte sie.
Er hob den Kopf. » Ja bitte? « Ihr Gemahl betrachtete sie, als sähe er sie zum ersten Mal. Sein teilnahmsloser Blick traf sie bis ins Mark.
» Du erinnerst dich an mich? Ich bin Anna, deine Frau. «
» Das hat man mir erzählt. Wir haben eine Tochter. Ihr Name ist … « Er brach ab, überlegte.
Mit jeder Faser ihres Herzens sehnte sich Anna danach, jene Wiedersehensfreude auf seinem Gesicht zu entdecken, von der sie seit langer Zeit träumte. Doch da war nichts außer seinem verlegenen Lächeln. Sie befeuchtete ihren Mund.
» Unsere Tochter heißt Magdalena, aber wir nennen sie Lenchen. Die Kleine kann schon laufen. Du solltest sie sehen. Sie vermisst dich so sehr. « Sie schluckte. » Und ich dich auch. «
Korbinian blickte zu ihr herüber, wobei seine Miene unbeweglich blieb. Anna trat auf ihn zu, und sie fühlte, wie er sich versteifte. Etwa eine Handbreit über seinem rechten Ohr entdeckte sie eine Stelle, an der das Haar kürzer war und eine wulstige Narbe auf der Kopfhaut preisgab. Der Anblick ließ sie schaudern. Sie strich ihm über die Wange. Seine Haut war rau
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