Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
Gedächtnis ebenso wenig zurückkehrte wie seine Gefühle zu ihr? Seit Annas letztem Besuch im Kloster waren zwei Wochen vergangen, und obwohl Frau Dürer ihr versicherte, sie könne am Wochenende über Hans und den Wagen verfügen, machte sie diesmal keinen Gebrauch von dem Angebot.
Nimm dir alle Zeit der Welt, mein lieber Mann, nur sperr mich bitte nicht aus deinem Leben aus, dachte sie, während sie mit Marianne und Susanne die zusätzlich anfallenden Arbeiten erledigte. Die Köchin hatte vor einigen Wochen im Dachgeschoss das eingelagerte Obst bei geöffnetem Fenster auf einem Tuch ausgebreitet. Nun mussten sie die Äpfel und Birnen ungeschält und halbiert in einen eigens dafür gebauten Ofen schütten. Sie waren für die Speisen der Dienstboten gedacht. Die erlesensten und süßesten Früchte schälten Anna und Marianne, entfernten das Kerngehäuse und schmorten die geviertelten Stücke in Honig, bevor sie das Obst auf Bleche legten und in den Dörrofen schoben. Diese Früchte waren für die Dürers bestimmt. In einem an das Haus angrenzenden Schuppen legten die Frauen weiße und rote Rüben in eine mit Sand aufgefüllte Grube, Wal- und Haselnüsse versenkten sie zum Schutz vor Mäusen in einem Fass.
Unterdessen hackten Georg und Hans Holz in handliche Scheite und beförderten sie mit einem Flaschenzug auf den Dachboden. Dort stapelten die Frauen die Scheite luftig aufeinander, harte Arbeit, die ihren Rücken schmerzen und sie erschöpft ins Bett fallen ließ, wenn der Tag zur Neige ging. Trotzdem verging kein Abend, an dem Anna nicht an Korbinian dachte.
Zeit! Sie wollte sich ja in Geduld üben, ihn nicht bedrängen, damit er zu sich selbst zurückfand. Aber die Stunden und Tage wurden ihr bald zur Ewigkeit. Bange Gedanken lenkten sie tagsüber mehrmals von der Arbeit ab. Was, wenn er nie wieder heimkommen wollte? Wenn alles, was sie unternahm, um Korbinian zu helfen, vergebens war?
Schließlich hielt Anna es nicht mehr aus und bat den Fuhrmann, anzuspannen und sie nach Heilsbrunn zu fahren.
Wie bei ihrer ersten Begegnung lag ein Lächeln auf Johannes Wencks fein geschnittenem Gesicht, als er sie begrüßte. » Frau Dietl, ich habe eine Nachricht, die Euch freuen wird « , versprach er.
Erwartungsvoll blickte sie ihn an.
» Das Zittern der Hände Eures Mannes ist so gut wie verschwunden. Er hat in den letzten Tagen eine ganze Reihe von gelungenen Zeichnungen angefertigt. «
Ihr entfuhr ein überraschter Laut. » Das ist … wunderbar, Herr Prälat! Das wird ihm Hoffnung schenken. Oh, wie sehr ich mich für ihn freue! «
» Noch sehnlicher wünscht Ihr Euch, Euren Gatten nach Hause holen zu können, nicht wahr? «
» Ja, natürlich. Aber mein Mann wollte allein sein. Mein letzter Besuch liegt daher drei Wochen zurück. «
» Was mich betrifft, so könnt Ihr ihn gern heimholen. Ich habe erst heute Morgen mit unserem Arzt gesprochen. Bruder Antonius sieht keinen Anlass, Euren Mann länger hierzubehalten. «
» Ihr meint, es liegt einzig an Korbinian, ob er mit mir zurück nach Nürnberg reist. «
» So ist es. Vielleicht ist es ja die Angst, die ihn zögern lässt « , warf der Abt ein. Er schlug die Beine übereinander. » Ich könnte mir auch denken, dass sich Euer Mann nach der langen Zeit bei uns fürchtet, in die Welt da draußen zurückzukehren. « Der Klostervorsteher räusperte sich. » Geht und redet mit ihm, Frau Dietl. «
Im Klostergarten waren mehrere Mönche mit dem Pflanzen von Knoblauch und der Kräuterernte beschäftigt. Von Korbinian, der sich hier für gewöhnlich aufhielt, war heute nichts zu entdecken. Einer der Männer meinte allerdings, gesehen zu haben, wie er nach dem Essen auf die Kirche zugesteuert war. Anna dankte ihm und schlug den Weg zum Gotteshaus ein.
Angenehme Kühle umgab sie. Suchend blickte sie sich in dem halbdunklen Kirchenraum um und schritt durch das Mittelschiff nach vorne. Ein Mönch kniete leise betend auf dem steinernen Boden. Da entdeckte sie Korbinian in einer der ersten Bänke vor dem von mehreren Wachskerzen erhellten Altar. Nur schwach erhellte ihr Licht sein Gesicht, doch sie konnte erkennen, dass er die Augen geschlossen hielt. Sie schob sich neben ihn. Fragend musterte sie seine Züge und wagte nicht, ihn anzusprechen. Hinten hörte sie den Mönch sein Gebet mit einem deutlichen » Amen « abschließen, und kurz darauf waren sie allein.
Als hätte Korbinian ihre Gedanken erraten, öffnete er die Lider und brach das Schweigen. » Ich komme oft
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