Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
unterzog.
» Du isst zu wenig, Anna. Schau dich nur mal an, du bist bleich, und dein Gewand ist dir zu groß geworden. Mir scheint, du bist nicht glücklich bei uns? «
» Das stimmt nicht « , widersprach sie lahm. » Ich arbeite gern in der Küche. « Das war nicht mal gelogen, trotzdem mied sie den Blick der Ordensfrau.
Die Ältere strich ihr über den Arm und stutzte. Ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. » Was hast du denn da auf deinem Gewand? Säubere dich, damit es keiner bemerkt. «
Anna errötete, als sie die Strohhalme am Saum ihres Rockes entdeckte. Sie verbeugte sich vor Schwester Griseldis und verließ den Speiseraum.
In der Küche ging es an diesem Tag geschäftig zu, denn das Kloster bereitete sich auf den Besuch des Weinhändlers vor. Der Mann liebte die fetten Würste, die dort regelmäßig gekocht, geräuchert und getrocknet wurden. Anna war es ganz recht, so blieb ihr nicht viel Zeit, um zu grübeln.
Am späten Nachmittag setzte erneut heftiger Regen ein. Wenn es weiter so goss, würden sich die unbefestigten Straßen, die vom Kloster wegführten, in Schlammpisten verwandeln und die Fahrt erschweren. In der Kapelle nahm Anna den angestammten Platz ein, so wie es gefordert wurde, und senkte den Kopf. Die Worte der Mutter Oberin und die Gesänge rauschten nur so an ihr vorbei. Als sie sich endlich erheben durfte, verabschiedete sie sich mit den Worten, ihr sei nicht wohl und sie wolle sich bald zur Ruhe begeben. Die Regengüsse hatten sich mittlerweile in feinen Nieselregen verwandelt und nährten Annas Hoffnung.
Auf dem Weg in ihre Kammer bemerkte sie aus den Augenwinkeln, dass die Stalltür nur angelehnt war. Die Stimmen mehrerer Männer drangen bis zu ihr herüber. Sie wandte sich ab und betrat den Eingang, der zu den Privatkammern führte. Mit einem Seufzen ließ sie ihre Tür ins Schloss fallen, lehnte sich dagegen und schloss die Augen. Ein Beben überlief ihren Körper, jede Kraft wollte sie plötzlich verlassen. Hatte sie auch alles bedacht? War es ihr geglückt, keine besondere Aufmerksamkeit zu erregen, oder lauerte jemand nur darauf, sie auf frischer Tat zu ertappen?
Die folgenden Stunden brachte sie schlaflos zu, hin- und hergerissen zwischen freudiger Erwartung und lähmender Furcht. Endlich nahte der Morgen und sie schlich – ihr Bündel auf dem Rücken und die Stiefel in der Hand, um jedes Geräusch zu vermeiden – auf Zehenspitzen den Gang entlang. Sie verharrte. Als alles still blieb, huschte sie weiter. Am Ende des Ganges befand sich die Kammer der Mutter Oberin. Anna konnte sie schon von Weitem erkennen, da die Tür die doppelte Breite der anderen einnahm. Mit aufeinandergepressten Lippen setzte sie einen Fuß vor den anderen. Da drang ein Laut aus der Kammer, ein Rascheln wie von Stoff oder Papier. Sie machte einen Satz vorwärts und blieb an der Ecke stehen, hinter der sie zum Ausgang gelangte. Die Augen geschlossen, erwartete sie das Unvermeidliche. Als nichts geschah, eilte sie zum Portal. Noch einmal blickte sie nach allen Seiten, um im nächsten Moment aus der Tür zu schlüpfen. Rasch zog sie die Stiefel an, nahm den Umhang aus dem Bündel und legte ihn sich um Kopf und Schultern. Der Klosterhof glänzte feucht im Licht der wenigen Fackeln.
Als sie die Stallungen erreichte, blieb sie wie angewurzelt stehen. Wo war nur der Karren abgeblieben? Vorsichtig schob sie den Riegel der Stalltür zurück, trat ein und eilte in den Nebenraum. Ihr Herz machte einen Satz, als sie das Gefährt entdeckte, dessen Ladung mit Planen abgedeckt worden war. Rasch kletterte sie hinauf und schlüpfte unter die Stoffabdeckung. Sie kauerte sich zwischen zwei Bierfässer und legte den Kopf auf die angezogenen Knie. Wie viel Zeit verging, bis sie Stimmen hörte, vermochte sie nicht zu sagen. Eine Tür knarzte, schwere Schritte näherten sich.
» Ich fahre ihn auf den Hof. « Das war eindeutig Rüdiger. » Gebt schon mal Bescheid. «
» Ist gut. «
Schritte verklangen, das Pferd wurde eingespannt. Der Wagen senkte sich bedrohlich, als der Stallbursche den Bock bestieg und das Gefährt auf den Hof lenkte. Anna spürte, wie die Sonne die Decken über ihr wärmte, und zwang sich, flach zu atmen.
Bald darauf vernahm sie die Geräusche eines zweiten Gefährts, dazu eine Frauenstimme, die unweit von ihr leise Befehle erteilte.
» Gott zum Gruße, lieber Baldewin. Ihr habt Euch das schönste Reisewetter ausgesucht. «
» Wie wahr. Hoffentlich bleibt es uns erhalten. Kann es losgehen? « ,
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