Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
ihrem Platz und verließ den Raum. Seit ihrer Zeit im Kloster wurde ihr stets flau im Magen, wenn sie Mitgliedern der Geistlichkeit über den Weg lief.
Als sie wenig später mit Lenchen spielte und sich an ihrem hellen Lachen erfreute, flog die Tür auf, und Dietl kam hereingestürmt. Auf seinem Gesicht lag ein Strahlen, das sie so noch nie an ihm gesehen hatte.
» Herr Dietl! Was … «
Stürmisch zog er sie an sich und drückte seiner Tochter einen Kuss auf die Stirn, was der Kleinen ein Glucksen entlockte. Anna errötete bis unter die Haarwurzel.
» Anna … Ein neuer Auftrag, ein Porträt für einen hohen Herrn! «
» Wie schön. « Sie entwand sich ihm.
» Bitte entschuldigt! Ich hätte nicht … «
» Schon gut « , beeilte sie sich zu versichern. Sie wich zurück und strich Magdalena über den dunkelblonden Haarflaum. » Das freut mich sehr für Euch, Herr Dietl. Ich will gleich noch ein paar Besorgungen mit der Kleinen machen, wenn es Euch recht ist. «
» Ja, gewiss. Geht nur « , murmelte er und fuhr sich mit einer Hand durch das Haar, ohne Anstalten zu machen, den Raum zu verlassen.
Sie sah zu ihm auf. » Kann ich noch etwas für Euch tun? «
» Einen Wunsch könntet Ihr mir erfüllen. « Dietls Miene wurde wieder undurchdringlich. » Esst mit mir zu Abend. « Sie wollte etwas erwidern, aber er schnitt ihr das Wort ab. » Ich bin es leid, allein am Tisch zu sitzen, und würde mich wirklich über Eure Gesellschaft freuen. «
» Aber … «
» Nur an diesem einen Abend, ja? Schließlich gibt es etwas zu feiern. «
Anna trat ans Fenster. Der Tag neigte sich inzwischen seinem Ende zu, und die Menschen kehrten in ihre Häuser zurück, wo ihre Familien sie erwarteten. Ob diese Leute wussten, wie glücklich sie sich schätzen konnten, kein dunkles Heim betreten zu müssen, in dem nichts als die Stille lebte, wie bei den vielen Menschen, die ihre Angehörigen an den Schwarzen Tod verloren hatten? Im Gegensatz zu ihnen hatte sie allen Grund, dankbar zu sein. Da tauchte vor ihren inneren Augen jäh Martins Bild auf, wie ihn seine junge Frau mit einem strahlenden Lächeln und einem Kuss begrüßte. Eine Frau, die nicht nur schöner und anmutiger war als sie selbst, sondern zusätzlich eine gut gefüllte Truhe mit Geld in die Ehe brachte. Welch glückliche Fügung für den guten Martin, bei den Aussichten musste es ein Leichtes gewesen sein, sich für Therese zu entscheiden. Der Teufel sollte ihn holen!
Anna wartete, bis die Hitze verebbte, die ihr bei diesen Überlegungen durch die Adern geschossen war, und wandte sich zu dem Hausherrn um. » Wenn Ihr es wünscht, Herr Dietl. «
» Gut. « Er schritt an ihr vorbei und verließ die Kammer.
Es fühlte sich seltsam an, den Tisch für zwei zu decken. Insgeheim aber freute sich Anna über die Einladung. Die Haare hatte sie zu einem kurzen Zopf gebunden, und sie trug das gute Gewand, das ihr Dietl am gestrigen Tag überlassen hatte. Ganz neu schien das in einem kräftigen Gelb gefärbte Leinenkleid nicht mehr zu sein, denn am Saum der beiden Ärmel war es an manchen Stellen schon etwas dünn, dafür aber hübsch und sauber. Herr Dietl hatte ihr erklärt, es sei einst das Sonntagskleid seiner Frau gewesen.
Zu Hirsebrei und Karotten sollte es frischgebackenes Gerstenbrot und ein Stück Lammfleisch geben. Dietl hatte beides am Vortag vom Markt mitgebracht. » Ich möchte, dass Ihr es uns heute zubereitet « , waren seine Worte gewesen. Anna hatte sich über den Speisewunsch gewundert. War das nicht ein Mahl, das nur an Feiertagen serviert wurde? Kurze Zeit später trat Dietl ein. Ihre Augen weiteten sich. Gut sah er aus mit seiner grünen Schecke und den streng nach hinten gebundenen Haaren. Sein Kinn war glatt rasiert.
» Köstlich riecht es hier, Anna « , lächelte er ihr entgegen.
In der Hand hielt er einen Strauß Bauernrosen. Wie viele Nürnberger besaß auch Dietl hinter seinem Haus einen kleinen Garten, in dem es außer diesen hübschen Blumen noch einen Nussbaum, ein Birnbäumchen sowie ein Kräuterbeet mit Kamille und Salbei gab. Verwirrt ließ sie den Blick zunächst zu dem Buchmaler und dann zu den Blumen schweifen, murmelte einen Dank und nahm sie, um sie in eine Vase zu stellen.
Während des Mahls unterhielt er sie mit allerlei amüsanten Geschichten, die ihm in seiner Werkstatt widerfahren waren, und ihre Anspannung ließ allmählich nach.
Als Anna den Tisch abräumen wollte, hielt er sie am Ärmel fest. » Bitte bleibt noch ein Weilchen.
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