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Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
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Wiege immer hier hinein, damit ich sie höre « , ergänzte er. » Ich meine, wenn sie aufwacht … «
    » Ich verstehe. Ich kümmere mich gern um die Kleine. «
    Während Anna kurzerhand das Bettchen anhob, um es in ihre Kammer zu tragen, unterwies Dietl sie mit hastig hingeworfenen Worten, wo sie alles Notwendige fand. Daraufhin erwärmte sie etwas Ziegenmilch und zog sich mit dem Kind in die Kammer zurück, die ihr der Hausherr zur Verfügung gestellt hatte. Sie schob die Vorhänge auf, die im Winter die Kälte fernhalten sollten, und ließ frische Luft hinein. Die Kleine war wirklich niedlich, wie sie einen Schmollmund machte und die Hände zu Fäusten ballte.
    Als sie weinend die Augen aufschlug, setzte Anna sich mit ihr auf einen Stuhl, gab ihr von der Ziegenmilch zu trinken und legte ihr eine neue Windel um. Bald darauf ruhte die Kleine in Annas Armen und schlief. Ein gar ungewohntes Gefühl war es, das Gewicht und die Wärme eines Säuglings ganz nah am Leib zu spüren. Es war so lange her, seit sie ihren Bruder Xaver im Arm gewiegt hatte. Als ihre Mutter ihn auf die Welt gebracht hatte, war sie zwölf gewesen und damit alt genug, um ihr zur Hand zu gehen. Bestimmt würden auch Martin und seine Frau bald ein Kind im Arm halten.
    Die Vorstellung ließ die Erinnerung an den Albtraum der vergangenen Nacht wieder lebendig werden. Hatte sie nicht stets davon geträumt, einst die Mutter seiner Kinder zu sein? Nun saß sie in einem fremden Haus und wiegte ein fremdes Kind. Annas Arme begannen zu kribbeln, denn die Kleine auf ihrem Schoß war eingeschlafen und wurde immer schwerer. Sie seufzte, stand leise auf und legte das Kind in die Wiege zurück. Ein Blick aus dem Fenster sagte ihr, dass es fast Mittagszeit sein musste. Ihre Unruhe wuchs. Wenn sie nur wüsste, wo Sebastian steckte.
    Um sich von den trüben Gedanken abzulenken, schlich sie hinaus. Die Werkstatttür war nur angelehnt, also trat sie ein.
    Korbinian Dietl winkte sie heran. » Kommt und setzt Euch. Schläft Lenchen? «
    » Tief und fest. «
    » Danke, Anna. « Sogleich senkte er den Kopf wieder über seine Arbeit, in der linken Hand ein Tintenhörnchen, in der Rechten einen Federkiel.
    Die aufgeschlagene Buchseite war bereits zur Hälfte mit einer kunstvoll gefertigten Blumenranke versehen. Ein Buchmaler, dachte sie staunend. Obwohl, die Bezeichnung traf es nicht richtig. Wer so naturgetreu malen konnte, dass sie meinte, die Blumen wären lebendig und nicht einfach nur gezeichnet, musste ein außergewöhnlicher Künstler sein. Seltsam gefangen von dem Zauber des Momentes ließ sich Anna auf einen Schemel sinken, sie konnte den Blick einfach nicht von Korbinian Dietl und seinen Zeichnungen wenden. Nun tauchte er den Federkiel erneut in ein Tintenfässchen. Seine Hand huschte über das Pergament, setzte hier und dort feine Striche am rechten oberen Rand der Seite. Anna hielt den Atem an und konnte kaum glauben, was durch seine Fertigkeit vor ihren Augen entstand. Ein Vogel, gerade im Begriff loszufliegen. Sein kleiner, kräftiger Schnabel war halb geöffnet.
    » Das … das ist wundervoll, Herr Dietl « , hauchte sie.
    » Ein Rotkehlchen « , ergänzte Dietl mit abwesend klingender Stimme. » Seht, es muss zwischen den Blättern und Blumen etwas Nahrhaftes entdeckt haben, vielleicht eine Larve? « Der Federkiel wurde abermals eingetunkt, dann konnte sie schon nach wenigen Strichen das kleine Vogelgesicht erkennen. » Es hat den Blick bereits fest auf seine Beute gelenkt. Gewiss ist es die erste Mahlzeit dieses Tages, und der Vogel ist sehr hungrig. «
    Anna nickte.
    » Wenn Ihr etwas zeichnen wollt, solltet Ihr es nicht nur betrachten, sondern mit all Euren Sinnen beobachten und empfinden. « Dietl nahm einen weiteren Federkiel zur Hand, und kurz darauf war der Schnabel des Vogels gräulich, während das Köpfchen und der Hals eine bräunlich rote Färbung bekamen. Die Flügel waren anmutig gespreizt. » Wenn Ihr am Ende hören könnt, wie der seichte Sommerwind seine Federn vibrieren lässt, wie das Vogelherz voller Erwartung schlägt und das Rotkehlchen einige Momente in der Luft stehen bleibt, um sich schließlich zwischen den Blumen niederzulassen und den saftigen Bissen genüsslich zu verschlingen, dann – und nur dann – ist Eure Zeichnung gelungen. «
    Anna fühlte sich wie im Traum. Sie blinzelte mehrmals, denn sie meinte, den Flügelschlag des kleinen Vogels beinahe sehen zu können, während sie Dietls warmer Stimme lauschte. » Ich danke

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