Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
Ich möchte gern etwas mit Euch besprechen. «
Erstaunt hielt sie inne. Sie stellte die Teller zusammen und setzte sich wieder. Wie ernst der Buchmaler auf einmal wirkte!
Eine Hand griff nach ihrer. » Das Kleid steht Euch wirklich gut. Es erinnert mich an meine Frau. Ich möchte Euch gern von ihr erzählen. « Sein Lächeln war freundlich, doch es erreichte nicht seine Augen. » Meine Martha ist im Kindbett gestorben. Das Blut lief ihr aus dem Schoß, und ich konnte nichts tun. Es ging alles so schnell. « Sein Blick verlor sich in weiter Ferne. » Ich erinnere mich noch, wie Lenchen nach ihr schrie, aber Martha war zu schwach, um sie zu halten. Also nahm ich das Kind. Kurz darauf verlor sie das Bewusstsein. « Er verstummte.
» Ihr müsst nicht weiterreden. « Anna räusperte sich. » Ich werde dann mal Ordnung schaffen. «
» Nein, bitte bleibt und hört mir zu. Ich möchte, dass Ihr meine Frau werdet. «
Anna erstarrte. Zu nichts anderem war sie fähig, als auf seine sehnigen, von der Arbeit gezeichneten Finger zu sehen.
» Habt Ihr gehört? Werdet meine Frau. «
Sie entzog sich ihm und stand ruckartig auf. Der Stuhl fiel krachend zu Boden. In ihren Ohren dröhnte es wie ein Donnerschlag. » Das kann nicht Euer Wille sein! «
» Doch, das ist es, denn ich bin schon seit vielen Monaten allein. Ihr seid es ebenfalls, habt weder ein eigenes Heim noch jemanden, der Euch versorgt. Ich kann Euch all das bieten « , erwiderte er leise, ohne sie aus den Augen zu lassen. Er rang nach Worten. » Lenchen ist ganz vernarrt in Euch, und Ihr seid fleißig und hübsch anzusehen. Was sonst kann sich ein einsamer Mann zu seinem Glück wünschen? «
Ihr Herz machte einen schmerzhaften Satz.
» Bedenkt, wie vorteilhaft eine Heirat zwischen uns wäre « , fuhr er fort. » Ihr wärt eine angesehene Ehefrau, niemand könnte mehr mit dem Finger auf Euch zeigen oder hinter Eurem Rücken schwatzen. Ihr wärt die Gemahlin des Buchmalers Dietl. «
Anna spürte, wie sich alles in ihr verhärtete. » Ich danke für Euer Angebot, ja wirklich. Eure Beweggründe sind edel, leider kann ich es dennoch nicht annehmen. « Sie erschrak über die Bitterkeit in ihrer Stimme. » Gewiss bin ich nicht die Richtige für Euch. «
Vor ihrem geistigen Auge konnte sie die wissenden, abschätzigen Blicke der Nachbarn und Kunden ihres Herrn erfassen, wenn ihnen zu Ohren käme, der Buchmaler Dietl habe sein Hausmädchen geehelicht.
» Verstehe. « Seine Miene wechselte zu der des verbindlichen Geschäftsmannes, den sie kannte, wenn Kunden die Werkstatt aufsuchten. » Vermutlich kommt alles zu überraschend. Ich bitte Euch nur, über mein Angebot nachzudenken. Danach gebt mir Bescheid. « Dietl erhob sich und strich seine Schecke glatt. » Das Essen war ausgezeichnet. Ich werde jetzt zur Ruhe gehen. «
» Ja, natürlich « , antwortete Anna etwas zu schnell und machte sich daran, den Tisch abzuräumen. Sie hatte Mühe, das Zittern ihrer Hände zu verbergen.
Erst als Dietl den Raum verlassen hatte, wagte sie, das Geschirr aus der Hand zu legen, sank wie betäubt auf den Stuhl und starrte die Wand an. Die plötzlich eintretende Stille, verbunden mit ihrem wild pochenden Herzschlag, ließ sie sogleich wieder hochfahren. Er bot ihr also ein angenehmes Leben. Ein Zuhause an der Seite eines Mannes, den sie schätzte und bewunderte. Jemand, der gut für sie sorgen würde. Ihr seid fleißig und hübsch anzusehen. Fleißig, ja das war sie wohl. Mit ihrer fast knabenhaften Figur und der Nase, die ihr stets ein wenig zu lang erschienen war, hatte sie sich allerdings nie als hübsch betrachtet. Schon gar nicht wollte sie jemandes Eheweib sein, der sie nur heiratete, um dem Getratsche der Leute ein Ende zu bereiten oder aus Mitgefühl einer Heimatlosen gegenüber. Ihr lag weder an dem einen noch an dem anderen etwas.
Während sie aus dem Fenster schaute, versuchte sie, dem Wechselbad ihrer Gefühle Herr zu werden. Als es in ihr langsam ruhiger wurde, machte sie sich an den Abwasch. Danach vergewisserte sie sich, dass Lenchen schlief, band sich ein Tuch um den Kopf und trat mit glühenden Wangen vor die Tür. Das Geräusch sich entfernender Schritte drang zu ihr herüber. Aus dem Haus gegenüber vernahm sie Stimmen, von der Gasse her das Winseln eines Hundes. Seichter Wind strich ihr kühlend über das Gesicht. Als sie noch Teil einer Familie gewesen war, hatte sie immer gewusst, was zu tun war. Es galt, der Mutter bei der Erziehung des kleinen Bruders und bei
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