Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
«
Sebastian äugte zu dem zweiten Schlaflager hinüber. Im ersten Licht des neuen Tages konnte er erkennen, dass Sepps neugieriger Blick auf ihm haftete. Bruder, so nannten sich die Anhänger von Elia seit einiger Zeit untereinander. Außerdem hatte der Prophet damit begonnen, den Männern neue Namen zu geben, mit denen sie einander anredeten, wenn sie unter sich waren. Sepp trug seit der letzten Zusammenkunft den Namen Simon. Ihm selbst war dieses Privileg noch nicht zuteilgeworden, wobei Sebastian nicht behaupten konnte, dass ihm dies etwas ausmachte. Er warf die Wolldecke beiseite und schwang die Beine aus dem Bett.
Der Freund verschränkte die Arme hinter dem Kopf. » Was ist eigentlich los mit dir? «
Sebastian legte die Hand auf die Türklinke und drehte sich um. » Lass mich einfach in Ruhe, ja? « , gab er zurück.
Sepp setzte sich auf die Bettkante. » Denkst du immer noch über diesen Gehbauer nach? Der Bursche hat’s verdient, hörst du? «
» So, hat er das? Nur weil er die Bruderschaft verlassen hat und zu Osiander gegangen ist? Hör auf, Sepp! Und dieser Bursche im Ochsen, den Ferdinand zusammengeschlagen hat? Hat der es etwa auch verdient? Warum eigentlich? Weil er Lutheraner ist? «
» Diese Leute sind Ketzer, Bruder. Geht das nicht in deinen Schädel? Martin Luther zerstört unsere Heilige Kirche und findet immer mehr Anhänger. Das ist der Abfall vom rechten Glauben, von dem die biblia spricht, eines der Zeichen für das Ende, bevor der Herr wiederkommt! « Er erhob sich und trat auf Sebastian zu. » Die Zeichen, Bruder – schon vergessen? Mann, Mann, hast du denn überhaupt nichts verstanden von all dem, was der Prophet lehrt? «
» In der biblia heißt es auch: ›An ihren Früchten werdet ihr die wahren Propheten erkennen‹ « , gab Sebastian scharf zurück.
» Was willst du damit sagen? «
Sebastian schwieg.
» Ich frage mich manchmal wirklich, was in dich gefahren ist. « Sepps Augen wurden schmal. » Und nenn mich gefälligst bei dem Namen, den Elia mir gegeben hat. Sicher wirst auch du bald einen neuen erhalten, so wie unser Herr einigen Aposteln und Paulus … «
» Verschone mich mit diesem Gewäsch! Das ist doch alles Blödsinn « , unterbrach Sebastian ihn, riss die Tür auf und trat auf den schmalen Flur.
» Blödsinn und Gewäsch, ja? « , zischte Sepp. » Haben wir etwa einen Judas in unseren Reihen? Wäre das vielleicht der Name, der dir gut zu Gesicht stünde? «
Sebastian fuhr herum. » Du nennst mich Judas? « Blitzschnell packte er den Freund am Hemd und zog ihn zu sich heran. » Ausgerechnet mich? Vergiss nicht, ich war es, der Elia das Leben gerettet hat, während du und die anderen nichts anderes getan habt, als zuzusehen! «
» Ist ja schon gut, war nicht so gemeint « , gab Sepp zurück.
» Dann nenn mich nie wieder einen Verräter! «
KAPITEL 21
E s hatte geklopft. Korbinian ging in den Flur und öffnete die Tür, die von dem kleinen Hinterhof und dem angrenzenden Gärtchen direkt zu seiner Werkstatt führte. Im Licht der einsetzenden Dämmerung erkannte er Konrad Mutz. Neben dem Holzschnitzer mit dem hellen Bart stand ein zweiter, ihm unbekannter Mann.
» Gott zum Gruße, Korbinian. « Mutz’ Blick war ernst. » Hast du ein wenig Zeit für uns? «
» Kommt herein. «
Er trat zur Seite, und der Holzschnitzer schob seinen gewaltigen Schmerbauch an ihm vorbei ins Innere des Hauses. Der andere Mann folgte ihm und nickte dem Buchmaler zu.
» Dietrich Bratler. Es ist sehr freundlich, dass Ihr uns noch um diese Zeit einlasst, Herr Dietl. «
Korbinian öffnete die Küchentür am Ende des kurzen Ganges. » Was kann ich für Euch tun? «
Die Gäste ließen sich auf der Bank nieder und streckten die Beine von sich. Korbinian nahm drei Becher aus dem Spind und goss Bier hinein.
» Zum Wohl, die Herren. «
» Zum Wohl, Dietl. «
Die Männer tranken einen Schluck.
» Man hört, Eure Geschäfte laufen nicht besonders « , eröffnete Bratler das Gespräch. » Liegt es an den beiden neuen Druckereien, die kürzlich in Nürnberg aufgemacht haben? «
Korbinians Miene verdüsterte sich. » Ist der Papst katholisch? « , fragte er an Konrad Mutz gewandt, der sich den Bierschaum von den Lippen wischte.
Der Angesprochene schmunzelte. » Hör zu, Korbinian, wir haben einen Auftrag für dich, der dir zunächst etwas ungewöhnlich erscheinen mag. «
Erst in diesem Moment bemerkte Dietl den Lederbeutel, den Mutz neben sich abgelegt hatte und in den er nun griff. Der
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