Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)
schmunzeln. Seit er laufen konnte, hatte dieser kleine Nager ihm zur Seite gestanden. Er mochte ja eine Bangebux sein, aber er war immer für ihn da gewesen. Vorsichtig nahm er ihn auf die Hand, wo sich Poe wieder in Rauch verwandelte und wie ein geölter Blitz im Ärmel verschwand.
Robert erhob sich und erstarrte. Die Odinstochter hatte den Helm abgenommen. Mit großen, ungläubigen Augen blickte sie ihn an. Sie mochte vielleicht zwei Jahre jünger sein als er, also etwa achtzehn. Die stoppelkurzen Haare waren blond, die Augen von strahlendem Blau. Ihre Haut war blass, was wohl kein Wunder war, wenn man den lieben langen Tag einen Helm trug. Sie wirkte friesisch, mit entschlossenen Zügen. Sie sah hübsch aus, fand Robert. Zu hübsch, um solch einen Weg zu gehen. Odinstöchter lösten sich von der Welt, um mit ihrem Tod das Leben wertvollerer Menschen zu verlängern. Plötzlich bereute Robert seine harten Worte. Er hätte es kaum für möglich gehalten, so düster klingen zu können. Als wäre eine dunkle Tür in ihm aufgesprungen, aufgestoßen von der Angst um seinen Gefährten. Doch sie zurücknehmen - oder wenigstens abzumildern - kam für ihn nicht in Frage.
Noch immer durchmaßen ihn die blauen Augen, in die sich jetzt auch so etwas wie Sorge mischte.
»Das war ein Clangeist.« Ihre Stimme war sanft, melodisch. Vielleicht ein wenig weltfremd gar. Das Sanfte gefiel ihm.
»Es gibt keine Clangeister!«, entgegnete Robert bestimmt. Sie vollführte eine Geste mit dem Kopf, halb Schütteln halb Nicken.
»Ja, seit vielen Jahrhunderten nicht mehr, sagt man. Aber das war ein Clangeist, ich konnte ihn spüren, ganz kurz nur. In mir.«
Robert wurde bereits wieder wütend. Hatte sie seine Worte schon wieder vergessen? War sie dumm?
»Hören Sie, ähm …«
»Famke, Sir.«
»Sehr schön, Famke. Was glauben Sie denn gesehen zu haben?«
»Einen Clangeist. Und einen sehr niedlichen dazu, Sir.« Ja, war sie denn wirklich dämlich, oder vielleicht beschränkt? Was wurde denen denn beigebracht in den Jahren der Ausbildung, wie viele Orden gab es noch gleich? Dreizehn, wenn er sich recht erinnerte. Dreizehn Jahre Ausbildung zum ultimativen Leibwächter. Da musste doch ein wenig Verstand unter dem Helm übrig sein.
Doch mit seinem eigenen Verstand stand es auch nicht gerade zum Besten. Er ließ sich in einen Sessel fallen, rieb sich mit der Hand nachdenklich über das Gesicht.
»Sag mir, Famke, von welchem Orden bist du?«
Sie sah ihn an, Stolz im Blick. »Vom fünften Orden, Sir.«
Er hatte es geahnt, nur nicht schnell genug kombiniert. Odinstöchter waren meist aus ärmlichsten Verhältnissen, oft verkauften ihre Eltern die Kinder an den Orden. Oder die Kinder wurden einfach fortgescheucht, suchten sich ihren Platz in der Welt selbst. Aber erst im Alter von zehn Jahren begann bei den meisten die Ausbildung, nämlich dann, wenn sich der Charakter schon erkennen, aber noch formen ließ. Dieses Mädchen hatte wohl erst mit dreizehn ihren Weg zu den Töchtern gefunden. Das alles sagte ihm eines: Wer immer ihm eine Odinstochter des fünften Ordens als Leibwächterin zur Seite gestellt hatte, schien nicht im Geringsten an Roberts Sicherheit interessiert zu sein. Denn in den ersten Jahren lernten die Mädchen kaum etwas anderes als Lesen und Schreiben. Zwar bekamen sie ab dem dritten Jahr schon ihre Rüstung mit dem Bannkreis darauf, doch grenzte es an Selbstmord, damit fremde Zauber verschlingen zu wollen. Der Geist des Kindes würde dabei zerstört werden wie eine morsche Nuss. Es konnte sogar möglich sein, dass sie an einem alten Clangeist, wie Poe einer war, bereits elendig verreckt wäre.
Plötzlich war er müde, ganz entsetzlich müde.
Eine böse Vorahnung klammerte sich immer fester um Roberts Herz, ballte sich darum, und er wusste, sie würde nicht wieder loslassen. Etwas war in Gang gesetzt worden. Es war wie ein im Nebel verborgenes Schiff. Nächtliche Schatten, das Knarren der Webleinen im Wind, Geflüster im Schankraum, ängstliche Blicke, doch keiner wusste, was dort draußen wirklich war.
Hammaburg
Gegen Abend erreichten sie endlich Hammaburg. Die Gleise folgten schon seit einiger Zeit dem Fluss Elbe, doch dann ging es einige Hügel hinauf. Der Zug fuhr nun nur noch etwa halb so schnell wie auf den geraden Strecken von Nederland und schließlich denen von Nord-Germanien, welches sich am engsten dem Britischen Empire zugehörig fühlte.
Vor über eintausend Jahren war die Stadt gegründet
Weitere Kostenlose Bücher