Das Lied von Anevay & Robert (The Empires of Stones) (German Edition)
stehen blieb, war ein düsteres Gemäuer, denn hier war die Kommandantur der Rotterdamer Garde untergebracht.
Robert nutzte die Zeit, um sich die Füße zu vertreten. Seit einigen Monaten hatte er sich ein Laster angewöhnt, für das seine Schwester Caroline ihn mehr als nur getadelt hätte; er hatte angefangen zu rauchen. Im Grunde wusste Robert, dass er auch damit seinen Großvater imitierte, denn dieser war ein leidenschaftlicher Pfeifenraucher gewesen. Als kleiner Junge hatte Robert diesen Duft geliebt, der aus Tabak, Schmieröl, Holz, Metall, Aftershave und Opa Lawrence bestanden hatte. Die Pfeife selbstvergessen in einem Mundwinkel, während er mit zusammengekniffenen Augen durch ein Mikroskop spähte. Im Grunde war nicht Humberstone Roberts Zuhause gewesen sondern die Werkstatt seines Großvaters und der Duft, der sogar noch heute darin waberte.
Robert holte das Etui mit den Zigarillos aus der Tasche, zündete sich einen an und blies den Rauch scheinbar gelangweilt an die Decke des Gewölbes. Ein paar der Glasplatten, die dort weit oben eingelassen waren, warfen schräge Säulen aus trübem Licht auf den Bahnsteig, der schmutzig und alt wirkte. Grauer Stein, vom Regen verdunkelt. Etwa zehn Soldaten in grellen, roten Kriegsuniformen traten aus einer Luke des hinteren Wagons, stellten sich davor und standen still, die Gewehre im Anschlag. Eine große Verladetür wurde geöffnet. Auf der gegenüberliegenden Seite des Bahnsteigs erhob sich ein Tor zwischen den Quadern des Turms, aus dem nun etliche Soldaten der Rotterdamer Garde traten. Zwischen ihnen eine Kiste, die wie eine alte Truhe aussah und offenbar schwer war, denn die sechs Männer an den Haltegriffen setzten nur mühsam einen Schritt vor den anderen. Eine Gasse wurde gebildet.
Auf der anderen Seite wurden plötzlich Rufe laut. Robert drehte sich um. Dort, durch eine geschmiedete Tür, trat eine Gestalt, wie er sie nur vom Hörensagen kannte. Er schluckte. Hochgewachsen, das Gesicht vollständig von einem schwarzen Helm verhüllt, auf dessen Stirnseite der Kopf eines Raben emporragte. Oberkörper, Arme und Schienbeine waren von einer Rüstung bedeckt, die das Licht zu absorbieren schien. Ein ebenfalls schwarzer Rock wallte hinter der Gestalt her, vorn aber ließ er die Beine frei, damit man die tätowierten Schwanenflügel darauf sehen konnte. Eine wahrhaftige Valkyrja. Eine Odinstochter. Hier. Auf einem Bahnsteig!
Robert verbrannte sich die Finger, was im Nachhinein jemandem das Leben rettete. Er hatte den Zigarillo ganz vergessen, jetzt erinnerte ihn die Glut daran, als sie seine Haut biss. Er zuckte zusammen, ließ den Stummel auf die Steine fallen. Seine Gedanken machten derweil ohne ihn weiter. Odinstöchter waren Leibwächter. Doch nicht nur das, sie waren auch Verschlinger . Sie hatten einen Bannkreis in ihren Rüstungen, der Magie aufspüren konnte. Wurde diese gefunden, aktivierten die Töchter einen Mechanismus, der sämtliche Zauber in einem Umkreis von etwa dreißig Schritt förmlich in sich aufsaugte. Das Fatale daran war, dass diese Magie ab jenem Moment im Körper der jeweiligen Tochter festgehalten wurde. Die Magie blieb zwar gefangen, aber sie blieb auch was sie war.
Und noch etwas ratterte hinter Roberts Augen. Wann immer er das Etui aus seiner Tasche geholt hatte, hatte Poe sich daran geklammert, ein kaum wahrnehmbares Gegengewicht, denn der kleine Geist hasste den stinkenden Qualm. Robert brauchte einige Atemzüge. Dann begriff er. Poe war noch in der Suite. Die Odinstochter trat durch eine der Luken, hinter ihr war Coldlake und starrte beim Gehen zu Boden, als habe er eine Niederlage erlitten.
Ein Feind hatte den Zug angegriffen, ein Lord war bedroht worden, was machte man da? Man schickte jemanden, der einen erneuten Angriff eventuell verhindern konnte. Doch was würde die Leibwächterin stattdessen in seinem Abteil finden? Einen kleinen, aus Magie bestehenden Geist.
Robert trat den Zigarillo aus, hastete so vornehm, wie es nur ging, zur nächsten Luke und stieg in den Zug. Er berechnete bereits, wer zuerst an der Schiebetür sein würde. Der Gang war eng, ein paar Soldaten kamen ihm entgegen, entschuldigten sich, die Mützen abnehmend, doch Robert drängte sich an ihnen vorbei, der schlaffe Arm schrammte an der Zugwand. Er sah über die Soldaten hinweg, die Odinstochter war schon fast an der Tür. In seinem Herzen brüllte er: Poe! Versteck dich, verdammt! Doch seine Lippen bewegten sich nicht, durften es nicht! Er zwängte
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