Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
Hohen Gatten, ihr Bauch prall von dem Kind darin. Mit zittrigen Fingern
löste sie seinen Zopf, wie sie es in der Nacht getan hatte, in der er sie zum ersten Mal genommen hatte, unter den Sternen. Seine Glöckchen legte sie ordentlich beiseite, eines nach dem anderen. Er würde sie wieder haben wollen, wenn er gesund war, sagte sie sich.
Ein Windhauch wehte in das Zelt, als Aggo seinen Kopf durch die Seide schob. »Khaleesi«, sagte er, »der Andale ist gekommen und bittet, eintreten zu dürfen.«
»Der Andale«, so nannten die Dothraki Ser Jorah. »Ja«, sagte sie und erhob sich umständlich, »schickt ihn herein.« Sie vertraute dem Ritter. Wenn irgendwer wusste, was zu tun war, dann er.
Ser Jorah duckte sich durch die Türklappe und wartete einen Moment, bis sich seine Augen an das trübe Licht gewöhnt hatten. In der sengenden Hitze des Südens trug er weite Hosen aus farbenprächtiger Rohseide und Reitsandalen mit offener Spitze, die bis zum Knie geschnürt wurden. Sein Schwert hing von einem gedrehten Gurt aus Pferdehaar. Unter der weißgebleichten Weste sah man seine nackte Brust, die Haut von der Sonne gerötet. »Es geht von Mund zu Mund, im ganzen Khalasar«, sagte er. »Es heißt, Khal Drogo sei vom Pferd gefallen.«
»Helft ihm«, flehte Dany. »Im Namen der Liebe, die Ihr, wie Ihr sagt, für mich empfindet, helft ihm sogleich.«
Der Ritter kniete neben ihr. Lang und eindringlich betrachtete er Khal Drogo, und dann ging sein Blick zu Dany. »Schickt Eure Dienerinnen fort.«
Wortlos, die Kehle vor Angst wie zugeschnürt, machte Dany eine Geste. Irri scheuchte die anderen Mädchen aus dem Zelt.
Als sie allein waren, zückte Ser Jorah seinen Dolch. Flink, mit einem Geschick, das sie an einem derart großen Mann überraschte, begann er, die schwarzen Blätter und den getrockneten, blauen Lehm von Drogos Brust zu kratzen. Das
Pflaster war so hart wie die Mauern der Lämmermenschen geworden, und wie die Mauern brach es leicht. Ser Jorah brach den trockenen Lehm mit seinem Messer, löste die Brocken von der Haut, schälte die Blätter eines nach dem anderen ab. Ein süßer, fauliger Geruch stieg von der Wunde auf, so streng, dass sie fast würgen musste. Die Blätter waren von Blut und Eiter verkrustet, Drogos Brust schwarz und glänzend vor Fäulnis.
»Nein«, flüsterte Dany, als Tränen über ihre Wangen liefen. »Nein, bitte, hört mich an, ihr Götter, nein.«
Khal Drogo schlug um sich, rang mit einem unsichtbaren Feind. Schwarzes Blut lief langsam und dickflüssig aus seiner offenen Wunde.
»Euer Khal ist so gut wie tot, Prinzessin.«
»Nein, er kann nicht sterben, es darf nicht sein, es war doch nur ein Schnitt.« Dany nahm seine große, schwielige Hand in ihre beiden kleinen Hände, hielt sie ganz fest. »Ich werde ihn nicht sterben lassen …«
Ser Jorah stieß ein bitteres Lachen aus. »Khaleesi oder Königin, dieser Befehl liegt jenseits Eurer Macht, mein Kind. Weint morgen um ihn oder in einem Jahr. Wir haben keine Zeit zum Trauern. Wir müssen fort bevor er stirbt.«
Dany war verwirrt. »Fort? Wohin sollten wir gehen?«
»Asshai, würde ich sagen. Es liegt weit im Süden, am Ende der bekannten Welt, doch sagt man, es sei ein großer Hafen. Wir suchen uns ein Schiff, das uns zurück nach Pentos bringt. Die Reise wird hart werden, täuscht Euch nicht. Vertraut Ihr Eurem Khas? Würden die Männer mit uns kommen?«
»Khal Drogo hat ihnen befohlen, mich zu schützen«, erwiderte Dany unsicher, »nur wenn er stirbt …« Sie umfasste die Rundung ihres Bauches. »Ich verstehe nicht. Warum sollten wir fliehen? Ich bin Khaleesi. Ich trage Drogos Erben in mir. Er wird nach Drogo Khal sein …«
Ser Jorah legte die Stirn in Falten. »Prinzessin, hört mich an. Die Dothraki werden keinem Säugling folgen. Drogos Stärke haben sie sich unterworfen, und nur ihr. Wenn er fort ist, werden Jhaqu und Pono und die anderen Kos um seinen Platz kämpfen, und dieses Khalasar wird sich selbst zerstören. Der Sieger wird keine Rivalen dulden. Man wird Euch den Jungen von der Brust reißen im selben Augenblick, in dem er geboren wird. Sie werden ihn den Hunden geben …«
Dany schlang die Arme um sich. »Aber wieso?«, weinte sie klagend. »Warum sollten sie ein kleines Kind töten?«
»Er ist Drogos Sohn, und die alten Weiber sagen, er sei der Hengst, der die Welt besteigt. So wurde es prophezeit. Lieber töten sie das Kind, als dass sie seinen Zorn riskieren, wenn er zum Manne gereift ist.«
Das Kind in
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