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Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell

Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell

Titel: Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R R Martin
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ihn ermahnt, die Zügel seines Ponys festzuhalten. Er erinnerte sich an den Blick auf Vaters Gesicht, als Theon Graufreud Eis herantrug, den Blutregen im Schnee, wie Theon nach dem Kopf getreten hatte, als der vor seinen Füßen liegen blieb.
    Er fragte sich, was Lord Eddard getan hätte, wenn der Fahnenflüchtige statt dieses zerlumpten Fremden sein Bruder Ben gewesen wäre. Hätte es einen Unterschied
gemacht? Das musste er doch, sicher, sicher … und Robb würde ihn willkommen heißen, ganz gewiss. Das musste er, sonst …
    Es wäre nicht auszudenken. Schmerz pulsierte tief in seinen Fingern, als er die Zügel hielt. Jon drückte seine Fersen in das Pferd und ließ es galoppieren, stürmte den Königsweg hinab, als wollte er seinen Zweifeln entkommen. Jon fürchtete sich nicht vor dem Tod, doch auf diese Weise wollte er nicht sterben, gefesselt und verschnürt und enthauptet wie ein gemeiner Soldat. Wenn er sterben musste, dann mit einem Schwert in der Hand im Kampf gegen die Mörder seines Vaters. Er war kein echter Stark, war nie einer gewesen … trotzdem konnte er wie einer sterben. Sie sollten sagen, dass Eddard Stark vier Söhne hatte, nicht drei.
    Geist hielt fast eine halbe Meile mit ihnen Schritt, die rote Zunge hing ihm aus dem Maul. Der Wolf wurde langsamer, beobachtete sie, die Augen glühend rot im Mondlicht. Er blieb zurück, doch wusste Jon, dass er ihm folgen würde, in seiner eigenen Geschwindigkeit.
    Vor ihm flackerten verstreute Lichter durch die Bäume, zu beiden Seiten der Straße: Mulwarft. Ein Hund bellte, als er hindurchritt, und er hörte den heiseren Schrei eines Esels aus dem Stall, ansonsten blieb das Dorf ganz still. Hier und dort leuchteten Kaminfeuer hinter verriegelten Fenstern, drangen durch hölzerne Schlitze, doch nur wenige.
    Mulwarft war größer, als es den Anschein hatte, denn drei Viertel davon lagen unter der Erde, in tiefen, warmen Kellern, die durch ein Labyrinth von Tunneln miteinander verbunden waren. Selbst das Hurenhaus befand sich dort unten, an der Oberfläche nichts weiter als eine Holzhütte, kaum größer als ein Abort, mit einer roten Laterne über der Tür. Auf der Mauer hatte er gehört, wie Männer die Huren »vergrabene Schätze« nannten. Er fragte sich, ob von seinen Brüdern heute Abend welche dort unten waren und gruben.
Auch das war Eidbruch, allerdings schien sich daran niemand zu stören.
    Erst als er weit hinter dem Dorf war, wurde Jon wieder langsamer. Inzwischen war er, wie auch sein Pferd, schweißnass. Zitternd stieg er ab, und seine verbrannte Hand schmerzte. Unter den Bäumen schmolz der Schnee, erstrahlte hell im Mondlicht, Wasser tropfte und bildete kleine, flache Teiche. Jon hockte sich hin und machte seine Hände hohl, fing die Tropfen auf. Der geschmolzene Schnee war eisig kalt. Er trank und warf sich von dem Wasser ins Gesicht, bis seine Wangen brannten. In seinen Fingern pochte der Schmerz schlimmer als seit Tagen, und auch in seinem Kopf hämmerte es. Ich tue das Richtige, sagte er sich, warum also fühle ich mich so elend?
    Die Stute war verschwitzt, daher nahm Jon die Zügel und führte sie ein Stück. Die Straße war kaum breit genug, dass zwei Reiter einander passieren konnten, die Oberfläche von kleinen Bächen durchzogen und von Steinen übersät. Die wilde Jagd war wirklich dumm gewesen, eine Einladung zum Genickbruch. Jon fragte sich, was in ihn gefahren war. Hatte er es mit dem Sterben so eilig?
    Der verschreckte Schrei eines Tieres von drüben, zwischen den Bäumen, ließ ihn aufblicken. Seine Stute wieherte nervös. Hatte sein Wolf Beute gefunden? Er hielt seine Hände an den Mund. »Geist!«, rief er. »Geist, zu mir.« Als Antwort folgte nur das Rauschen von Flügeln hinter ihm, als sich eine Eule in die Lüfte schwang.
    Stirnrunzelnd setzte Jon seinen Weg fort. Er führte die Stute eine halbe Stunde, bis sie trocken war. Geist tauchte nicht wieder auf. Jon wollte gern aufsteigen und weiterreiten, doch sorgte er sich um seinen Wolf. »Geist«, rief er noch einmal. »Wo bist du? Zu mir! Geist!« In diesen Wäldern konnte einem Schattenwolf nichts zustoßen, nicht mal einem halb ausgewachsenen Schattenwolf, es sei denn …
nein, Geist war zu schlau, einen Bären anzugreifen, und falls irgendwo ein Wolfsrudel in der Nähe wäre, hätte Jon das Heulen sicher längst gehört.
    Er sollte essen, beschloss er. Das würde seinen Magen beruhigen und Geist Gelegenheit geben, aufzuholen. Noch drohte keine Gefahr. Noch schlief die

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