Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
Mal hier gewesen war, hatte er auf einem Pferd gesessen, mit einem Schwert in der Hand, und die Drachen der Targaryen hatten von den Wänden her zugesehen, wie er Jaime Lennister vom Thron vertrieb. Er fragte sich, ob Joffrey wohl so einfach zu vertreiben wäre.
Fünf Ritter der Königsgarde – alle bis auf Ser Jaime und Ser Barristan – hatten sich am Fuß des Thrones zu einem Halbkreis aufgestellt. In voller Rüstung, lackierter Stahl von Kopf bis Fuß, lange, helle Umhänge über ihren Schultern, leuchtend weiße Schilde an ihre linken Arme geschnallt, standen sie da. Cersei Lennister und ihre beiden jüngeren Kinder hatten sich hinter Ser Boros und Ser Meryn gestellt. Die Königin trug ein Kleid aus meeresgrüner Seide, mit myrischer Spitze besetzt, hell wie Schaum. An einem Finger steckte ein goldener Ring mit einem Smaragd von der Größe eines Taubeneis, auf ihrem Kopf saß die passende Tiara.
Über ihnen thronte Prinz Joffrey inmitten der Dornen und Spieße in einem Wams aus Goldtuch mit rotem Umhang aus Satin. Sandor Clegane stand am Fuß der steilen, schmalen Treppe davor. Er trug ein Kettenhemd, seinen rußgrauen Plattenpanzer und den Helm mit dem knurrenden Hundekopf.
Hinter dem Thron warteten zwanzig Gardisten der Lennisters mit Langschwertern, die von ihren Gürteln hingen. Dunkelrote Umhänge lagen um ihre Schultern, und stählerne Löwen hockten auf ihren Helmen. Doch Kleinfinger hatte sein Versprechen gehalten. Überall an den Wänden, vor Roberts Wandteppichen mit Szenen von Jagd und Schlacht, warteten die Soldaten der Stadtwache, still und aufmerksam, und jeder dieser Männer hatte seine Hand um den Schaft eines drei Meter langen Spießes mit schwarzer,
eiserner Spitze gelegt. Zahlenmäßig waren sie den Lennisters fünffach überlegen.
Neds Bein brannte wie Feuer, als er stehen blieb. Er stützte sich mit einer Hand auf Kleinfingers Schulter.
Joffrey erhob sich. Sein roter Umhang aus Satin war von goldenem Faden durchwebt: fünfzig brüllende Löwen auf der einen Seite, fünfzig stolzierende Hirsche auf der anderen. »Ich befehle dem Rat, alle nötigen Vorbereitungen für meine Krönung vorzunehmen«, verkündete der Junge. »Ich wünsche, innerhalb der kommenden vierzehn Tage gekrönt zu werden. Heute will ich den Treueeid meiner loyalen Ratsherren entgegennehmen.«
Ned zog Roberts Brief hervor. »Lord Varys, seid so gut, diesen Brief hier Lady Lennister vorzulegen.«
Der Eunuch trug den Brief zu Cersei. Die Königin warf einen Blick auf die Worte. »Protektor des Reiches«, las sie. »Soll das Euer Schild sein, Mylord? Ein Stück Papier?« Sie riss den Brief in zwei Hälften, die Hälften in Viertel und ließ die Fetzen zu Boden flattern.
»Das waren die Worte des Königs«, stieß Ser Barristan erschrocken hervor.
»Wir haben jetzt einen neuen König«, entgegnete Cersei Lennister. »Lord Eddard, als wir zuletzt sprachen, gabt Ihr mir einen Rat. Erlaubt mir, die Freundlichkeit zu erwidern. Fallt auf die Knie, Mylord. Fallt auf die Knie und schwört meinem Sohn die Treue, und wir werden Euch erlauben, als Hand abzutreten und Eure letzten Tage in der grauen Ödnis zu verleben, die Ihr Eure Heimat nennt.«
»Wenn ich nur könnte«, sagte Ned grimmig. Wenn sie derart entschlossen war, die Sache hier und jetzt auszutragen, ließ sie ihm keine Wahl. »Euer Sohn hat kein Anrecht auf den Thron, auf dem er sitzt. Lord Stannis ist Roberts wahrer Erbe.«
»Lügner!« , schrie Joffrey, und sein Gesicht rötete sich.
»Mutter, was meint er?«, fragte Prinzessin Myrcella die Königin mit wehleidiger Stimme. »Ist Joffrey jetzt nicht König? «
»Ihr seid aus Eurem eigenen Mund verdammt, Lord Stark«, sagte Cersei Lennister. »Ser Barristan, ergreift diesen Verräter.«
Der Lord Kommandant der Königsgarde zögerte. Augenblicklich war er von Gardisten der Starks umzingelt.
»Und schon wird der Verrat vom Wort zur Tat«, sagte Cersei. »Glaubt Ihr, Ser Barristan stünde allein, Mylord?« Mit unheilvollem Scharren von Metall auf Metall zog der Bluthund sein Langschwert. Die Ritter der Königsgarde und zwanzig Gardisten in roten Umhängen traten vor, um ihm zu helfen.
»Tötet ihn!« , schrie der Kindkönig vom Eisernen Thron herab. »Tötet sie alle, ich befehle es Euch!«
»Ihr lasst mir keine Wahl«, erklärte Ned Cersei Lennister. Er rief nach Janos Slynt. »Hauptmann, nehmt die Königin und ihre Kinder in Gewahrsam. Lasst sie nicht zu Schaden kommen, aber geleitet sie zu den königlichen
Weitere Kostenlose Bücher