Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
lächelte, bis er sich Ned zuwandte. »Die kleine Aufgabe, die Ihr mir aufgetragen habt, ist erledigt, Lord Eddard.«
Varys fegte auf einer Veilchenwolke herein, rosa vom Bad, sein plumpes Gesicht geschrubbt und frisch gepudert, die weichen Pantoffeln geräuschlos. »Heute singen die kleinen Vögelchen ein trauriges Lied«, sagte er, indem er sich setzte. »Das Reich weint. Sollen wir beginnen?«
»Sobald Lord Renly eintrifft«, sagte Ned.
Varys warf ihm einen bedauernden Blick zu. »Ich fürchte, Lord Renly hat die Stadt verlassen.«
»Er hat die Stadt verlassen?« Ned hatte auf Renlys Unterstützung gebaut.
»Er ist durchs Seitentor hinaus, eine Stunde vor dem Morgengrauen,
begleitet von Ser Loras Tyrell und etwa fünfzig Gefolgsleuten«, erklärte ihnen Varys. »Zuletzt wurden sie gesehen, als sie in Eile gen Süden galoppierten, zweifelsohne auf dem Weg nach Sturmkap oder Rosengarten.«
So viel zu Renly und seinen hundert Streitern. Ned gefiel nicht, was er dahinter witterte, nur ließ sich daran wenig ändern. Er nahm Roberts letzten Brief hervor. »Der König hat mich gestern Abend zu sich gerufen und mir aufgetragen, seine letzten Worte niederzuschreiben. Lord Renly und Großmaester Pycelle haben bezeugt, dass Robert den Brief versiegelt hat, damit er nach seinem Tod vom Rat geöffnet wird. Ser Barristan, wäret Ihr so freundlich?«
Der Lord Kommandant der Königsgarde begutachtete das Papier. »König Roberts Siegel, ungebrochen.« Er öffnete den Brief und las. »Lord Eddard Stark wird darin zum Protektor des Reiches ernannt, um als Regent zu herrschen, bis der Erbe mündig wird.«
Und wie es der Zufall so will, ist er volljährig, dachte Ned, doch gab er seinem Gedanken keine Stimme. Er traute weder Pycelle noch Varys, und Ser Barristan war mit seiner Ehre gebunden, den Jungen zu schützen und zu verteidigen, den er für den neuen König hielt. Der alte Ritter würde Joffrey nicht so leicht im Stich lassen. Der notwendige Verrat ließ einen bitteren Geschmack in seinem Mund zurück, und Ned wusste, hier musste er mit Umsicht vorgehen, seine Absichten für sich behalten und das Spiel mitspielen, bis er als Regent sicher im Sattel saß. Es wäre noch Zeit genug, die Thronfolge zu überdenken, wenn sich Arya und Sansa auf Winterfell in Sicherheit befanden und Lord Stannis mit seiner Streitmacht in Königsmund eintraf.
»Ich möchte diesen Rat bitten, Roberts Wunsch entsprechend mich als Lord Protektor zu bestätigen«, sagte Ned mit einem Blick in ihre Gesichter, und er fragte sich, welche Gedanken sich hinter Pycelles halbgeschlossenen Augen,
Kleinfingers müdem Lächeln und dem nervösen Zappeln von Varys Fingern verbargen.
Die Tür öffnete sich. Der dicke Tom trat ins Solar. »Ich bitte um Verzeihung, Mylords, aber der Haushofmeister des Königs besteht darauf …«
Der Königliche Haushofmeister kam herein und verneigte sich. »Hochgeschätzte Lords, der König verlangt nach der Anwesenheit des Kleinen Rates im Thronsaal.«
Ned hatte erwartet, dass Cersei schnell handeln würde. Der Aufruf bot ihm keine Überraschung. »Der König ist tot«, sagte er, »dennoch werden wir mit Euch gehen. Tom, seid so gut und sammelt uns eine Eskorte.«
Kleinfinger reichte Ned seinen Arm, um ihm die Treppe hinunterzuhelfen. Varys, Pycelle und Ser Barristan folgten. Eine doppelte Kolonne bewaffneter Männer mit Kettenhemd und Stahlhelmen wartete draußen vor dem Turm, acht Mann stark. Graue Umhänge flatterten im Wind, als die Gardisten sie über den Hof geleiteten. Kein Rot der Lennisters war zu sehen, doch fühlte sich Ned von der Menge goldener Umhänge bestätigt, die auf dem Festungswall und an den Toren zu sehen waren. Janos Slynt empfing sie an der Tür zum Thronsaal, in verzierter, schwarzgoldener Rüstung, den Helm mit hohem Busch unter dem Arm. Steif verneigte sich der Hauptmann. Seine Männer stießen die großen Eichentüren auf, zwanzig Fuß hoch und mit Bronze beschlagen.
Der Königliche Haushofmeister führte sie hinein. »Heil dir, Joffrey aus den Häusern Baratheon und Lennister, dem Ersten seines Namens, König der Andalen und der Rhoynar und der Ersten Menschen, Herr der Sieben Königslande und Protektor des Reiches«, deklamierte er.
Es war ein langer Weg zum anderen Ende der Halle, wo Joffrey auf dem Eisernen Thron schon wartete. Auf Kleinfinger gestützt humpelte Ned Stark langsam voran und
hüpfte dem Jungen entgegen, der sich König nannte. Die anderen folgten ihm. Als er zum ersten
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