Das Lied von Eis und Feuer 02 - Das Erbe von Winterfell
ihm das Tier gebracht, von einer Insel jenseits des Sonnenaufgangs. ›Habt Ihr so eine schon gesehen?‹ fragte er mich.
Und ich antwortete ihm: ›Jeden Abend sehe ich Tausende wie sie in den Gassen von Braavos‹, und der Seelord lachte, und an jenem Tag machte man mich zum Ersten Recken.«
Arya verzog das Gesicht. »Ich verstehe nicht.«
Syrio klackte mit den Zähnen. »Die Katze war eine gewöhnliche Katze, nicht mehr. Die anderen erwarteten ein Fabeltier, und ein solches sahen sie dann auch. Wie groß sie sei, sagten sie. Sie war nicht größer als andere Katzen, nur fett von Trägheit, denn der Seelord fütterte sie an seinem eigenen Tisch. Wie seltsam kleine Ohren, sagten sie. Ihre Ohren waren von den Kämpfen als kleines Kätzchen ausgefranst. Und es war ganz deutlich ein Kater, dennoch sprach der Seelord von ›ihr‹, und so sahen ihn auch die anderen. Verstehst du mich?«
Arya dachte darüber nach. »Du hast gesehen, was war.«
»Genau so. Mach die Augen auf, mehr ist nicht nötig. Das Herz lügt, und der Kopf spielt uns Tricks vor, die Augen aber sehen die Wahrheit. Sieh mit deinen Augen. Höre mit deinen Ohren. Schmecke mit deinem Mund. Rieche mit deiner Nase. Fühle mit deiner Haut. Dann erst kommt das Denken, danach, und auf diese Weise das Wissen um die Wahrheit.«
»Genau so«, sagte Arya grinsend.
Syrio Forel gestattete sich ein Lächeln. »Ich denke gerade, wenn wir dieses Winterfell erreichen, wird es Zeit, dir diese Nadel in die Hand zu geben.«
»Ja!«, sagte Arya eifrig. »Warte, bis ich Jon zeige …«
Hinter ihr flogen die großen Holztüren der Kleinen Halle krachend auf. Arya fuhr herum.
Ein Ritter der Königsgarde stand im Türbogen, fünf Gardisten
der Lennisters hinter ihm aufgereiht. Der Ritter war in voller Rüstung, doch sein Visier war hochgeklappt. Arya erkannte seine matten Augen und den rostroten Backenbart wieder, da er mit dem König auf Winterfell gewesen war: Ser Meryn Trant. Die Rotröcke trugen Kettenhemden über hartem Leder und Stahlhelme mit Löwenschmuck. »Arya Stark«, sagte der Ritter, »komm mit uns, Kind.«
Arya kaute unsicher auf ihrer Unterlippe. »Was wollt Ihr?«
»Dein Vater will dich sehen.«
Arya trat einen Schritt vor, aber Syrio Forel hielt sie am Arm zurück. »Und warum schickt Lord Eddard in seinem eigenen Haus Männer der Lennisters? Das wundert mich.«
»Kümmert Euch um Eure Angelegenheiten, Tanzlehrer«, sagte Ser Meryn. »Das geht Euch nichts an.«
»Euch würde mein Vater nicht schicken«, sagte Arya. Sie sammelte ihr Stockschwert auf. Die Lennisters lachten.
»Leg den Stock weg, Mädchen«, erklärte Ser Meryn. »Ich bin Waffenbruder der Königsgarde, der Weißen Schwerter.«
»Das war der Königsmörder auch, als er den alten König erschlug«, sagte Arya. »Ich muss nicht mit Euch gehen, wenn ich nicht will.«
Ser Meryn Trant verlor die Geduld. »Ergreift sie«, rief er seinen Männern zu. Er ließ das Visier an seinem Helm herab.
Drei von ihnen traten vor, und ihre Ketten klirrten leise bei jedem Schritt. Plötzlich fürchtete sich Arya. Angst schneidet tiefer als ein Schwert, sagte sie sich, damit ihr Herz nicht mehr so raste.
Syrio Forel trat dazwischen, tippte sein Holzschwert leicht an seinen Stiefel. »Bis hierhin und nicht weiter. Seid Ihr Männer oder Hunde, dass Ihr ein Kind bedroht?«
»Aus dem Weg, alter Mann«, grunzte einer der Rotröcke.
Syrios Stock kam pfeifend hoch und schlug ihm an den Helm. »Ich bin Syrio Forel, und du wirst mit mehr Respekt zu mir sprechen.«
»Kahler Wicht.« Der Mann riss sein Langschwert hervor. Wieder zuckte der Stock, blendend schnell. Arya hörte ein lautes Krachen, als das Schwert klappernd auf den Steinfußboden fiel. »Meine Hand«, jammerte der Gardist und hielt seine gebrochenen Finger.
»Ihr seid schnell für einen Tanzlehrer«, sagte Ser Meryn.
»Ihr seid langsam für einen Ritter«, erwiderte Syrio.
»Tötet den Braavosi, und bringt mir das Mädchen«, befahl der Ritter in der weißen Rüstung.
Vier Gardisten der Lennisters zogen ihre Schwerter. Der fünfte, mit gebrochenen Fingern, spuckte aus und zückte mit der Linken einen Dolch.
Syrio Forel klackte mit den Zähnen, nahm seine Wassertänzerstellung ein, hielt dem Feind nur seine Seite hin. »Arya, Kind«, rief er, ohne hinzusehen, ohne seinen Blick von den Lennisters zu nehmen, »für heute haben wir genug getanzt. Du solltest besser gehen. Lauf zu deinem Vater. «
Arya wollte ihn nicht allein lassen, doch
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