Das Lied von Eis und Feuer 03 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 03 - A Clash of Kings (Pages 1-332)
Rüstung und schwerem weißen Mantel über die Zugbrücke. Der Größe nach konnte es nur Ser Preston Grünfeld sein. Die Königin ließ ihr innerhalb der Burg volle Freiheit; trotzdem würde er wissen wollen, wohin sie ging, wenn sie zu dieser späten Stunde Maegors Feste verließ. Was sollte sie ihm sagen? Plötzlich war sie froh, dass sie die Nachricht verbrannt hatte.
Sie löste die Schnüre ihres Kleides und kroch ins Bett, schlief jedoch nicht ein. War er noch immer da?, fragte sie sich. Wie lange würde er warten? Es war grausam, ihr einen solchen Brief zu schicken und keine Einzelheiten zu verraten. Die Gedanken kreisten unablässig in ihrem Kopf.
Wenn ihr nur jemand sagen könnte, was sie tun sollte. Sie vermisste Septa Mordane und mehr noch Jeyne Pool, ihre treueste Freundin. Die Septa war geköpft worden, weil sie das Verbrechen begangen hatte, dem Hause Stark zu dienen. Sansa hatte keine Ahnung, was Jeyne zugestoßen war, die einfach verschwunden und niemals wieder erwähnt worden war. Sansa versuchte, nicht zu oft an sie zu denken, manchmal allerdings überfielen sie die Erinnerungen ungebeten, und dann war es schwer, die Tränen zurückzuhalten. Gelegentlich vermisste Sansa sogar ihre Schwester. Arya war inzwischen sicher wieder in Winterfell, tanzte und nähte, spielte mit Bran und dem kleinen Rickon, und ritt vermutlich sogar hinunter ins Winterdorf, wenn sie Lust dazu verspürte. Sansa durfte ebenfalls reiten, aber nur auf dem Burghof,
und es wurde rasch langweilig, das Pferd ständig im Kreis zu lenken.
Sie war immer noch hellwach, als sie das Geschrei draußen vernahm. Zunächst kam es aus der Ferne, wurde jedoch rasch lauter. Viele Stimmen, die durcheinanderbrüllten, was, konnte sie nicht verstehen. Und sie hörte auch Hufschläge, stampfende Schritte, Befehle. Sansa schlich ans Fenster und sah Männer, die mit Fackeln und Speeren über die Wehrgänge liefen. Geh zurück ins Bett, schalt sie sich, das geht dich alles nichts an, es gibt nur wieder Ärger in der Stadt. An den Brunnen wurde in letzter Zeit häufig über Unruhen gesprochen. Viele Menschen drängten nach Königsmund herein, flohen vor dem Krieg, und viele überlebten nur, indem sie andere beraubten oder töteten. Geh ins Bett.
Aber der weiße Ritter war verschwunden, die Brücke über den trockenen Burggraben war unbewacht.
Ohne nachzudenken, drehte sich Sansa um und eilte zu ihrem Kleiderschrank. Oh, was tue ich da bloß?, fragte sie sich, während sie sich ankleidete. Das ist doch verrückt. Sie sah die Fackeln draußen auf den äußeren Mauern. Waren Stannis und Renly schließlich doch gekommen, um Joffrey zu töten und den Thron ihres verstorbenen Bruders zu besteigen? Wenn dies der Fall war, hätten die Wachen doch die Zugbrücke hochgezogen und auf diese Weise Maegors Feste von den äußeren Burgteilen abgetrennt. Sansa warf sich einen schlichten grauen Mantel über und nahm das Messer, mit dem sie gewöhnlich beim Essen Fleisch schnitt. Wenn es eine Falle sein sollte, sterbe ich lieber, bevor sie mir noch mehr wehtun, sagte sie sich. Sie verbarg die Klinge unter dem Mantel.
Eine Kolonne Bewaffneter in roten Röcken lief vorbei, als sie hinaus in die Nacht schlüpfte. Sie wartete ab, bis sie vorüber waren, dann rannte sie zur unbewachten Zugbrücke hinüber. Auf dem Hof schnallten Männer Schwertgurte um und wuchteten Sättel auf ihre Pferde. Bei den Ställen entdeckte sie Ser Preston mit drei anderen Mitgliedern der Königswache,
deren weiße Umhänge hell wie der Mond leuchteten, während sie Joffrey in seine Rüstung halfen. Beim Anblick des Königs stockte ihr der Atem. Zum Glück bemerkte er sie nicht. Er schrie nach seinem Schwert und seiner Armbrust.
Der Lärm ließ nach, als sie tiefer in die Burg vorstieß, wobei sie sich nicht umzuschauen wagte, aus Furcht, Joffrey könnte sie bemerken … oder schlimmer noch, ihr folgen. Die Serpentinentreppe wand sich vor ihr und war von Streifen flackernden Lichts aus den schmalen Fenstern der umgebenden Gebäude erhellt. Oben angekommen keuchte Sansa. Sie eilte eine im Schatten liegende Kolonnade entlang, drückte sich schließlich an eine Mauer und rang nach Atem. Plötzlich berührte etwas sie am Bein, und vor Schreck zuckte sie heftig zusammen, doch es war lediglich eine Katze, ein struppiger Kater, dem ein Ohr fehlte. Das Tier fauchte sie an und sprang davon.
Sansa erreichte den Götterhain, wo von dem Lärm nur noch ein leises Rasseln von Stahl und ferne Rufe blieben.
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