Das Lied von Eis und Feuer 03 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 03 - A Clash of Kings (Pages 1-332)
Sie zog den Mantel enger um sich. In der Luft lag der Geruch von Erde und Laub. Lady hätte es hier gefallen , dachte sie. Ein Götterhain hatte stets etwas Wildes an sich, und sogar in diesem hier, inmitten der Burg und der Stadt, konnte man die alten Götter spüren, die mit tausend Augen auf sie herabschauten.
Die Götter ihrer Mutter zog Sansa denen ihres Vaters vor. Ihr gefielen die Statuen, die Bilder hinter Bleiglas, der Duft brennenden Weihrauchs, die Septone mit ihren Roben und Kristallen, das magische Spiel der Regenbögen über den Altären, die mit Perlmutt und Onyx und Lapislazuli eingelegt waren. Dennoch konnte sie die besondere Macht des Götterhains nicht bestreiten, insbesondere bei Nacht. Helft mir , betete sie, schickt mir einen Freund, einen wahren Ritter, der mich rettet …
Sie schlich von Baum zu Baum und fühlte die raue Rinde unter ihren Händen. Blattwerk strich über ihre Wangen. War
sie zu spät gekommen? Er würde doch gewiss nicht so bald wieder aufbrechen, oder? War er überhaupt hier gewesen? Durfte sie einen lauten Ruf wagen? Es war so still hier …
»Ich habe schon befürchtet, Ihr würdet nicht erscheinen, Kind.«
Sansa fuhr herum. Aus der Dunkelheit schlurfte ein massiger Mann mit dickem Hals auf sie zu. Er trug eine graue Robe, deren Kapuze er aufgesetzt hatte, aber als das Mondlicht auf sein Gesicht fiel, erkannte sie ihn an der fleckigen Haut und den geplatzten Äderchen. »Ser Dontos«, stieß sie zutiefst enttäuscht hervor. »Ihr seid es?«
»Ja, Mylady.« Er trat näher, und der säuerliche Geruch von Wein in seinem Atem stieg ihr in die Nase. »Ich.« Er streckte die Hand aus.
Sansa wich zurück. » Wagt es nicht! « Sie griff unter ihrem Mantel nach dem verborgenen Messer. »Was … was habt Ihr mit mir vor?«
»Ich will Euch helfen«, antwortete Dontos, »so wie Ihr mir geholfen habt.«
»Ihr seid betrunken, nicht wahr?«
»Ich habe nur einen Becher Wein getrunken, um meinen Mut zu stärken. Wenn sie mich jetzt erwischen, ziehen sie mir bei lebendigem Leibe die Haut ab.«
Und was stellen sie mit mir an?, fragte Sansa und musste abermals an Lady denken. Die Schattenwölfin hatte Falschheit wittern können, doch war sie tot, Vater hatte sie getötet, und das hatte sie Arya zu verdanken. Sie holte das Messer hervor und hielt es in beiden Händen.
»Wollt Ihr mich erstechen?«, fragte Dontos.
»Das werde ich im Notfall gewiss tun«, erwiderte sie. »Sagt mir, wer Euch geschickt hat.«
»Niemand, holde Dame. Ich schwöre es bei meiner Ehre als Ritter.«
»Als Ritter?« Joffrey hatte ihm die Ritterschaft aberkannt. Jetzt war Ser Dontos nur mehr ein Hofnarr und stand vom
Rang her noch unter Mondbub. »Ich habe zu den Göttern gebetet, dass sie mir einen Ritter schicken, der mich rettet«, sagte sie. »Ich habe gebetet und gebetet. Warum sollten sie mir einen betrunkenen alten Narren senden?«
»Gewiss verdiene ich diese Behandlung, wenngleich … ich weiß, es klingt seltsam, aber … in den vielen Jahren meiner Ritterschaft war ich doch in Wirklichkeit stets ein Narr, und nun, da ich ein Narr bin, glaube ich … glaube ich in mir wieder etwas Ritterliches zu entdecken, holde Dame. Und nur wegen Euch … wegen Eurer Gnade, Eurem Mut. Ihr habt mich gerettet, nicht nur vor Joffrey, auch vor mir selbst.« Die Stimme versagte ihm. »Die Sänger berichteten von einem Narren, der der größte Ritter aller Zeiten war …«
» Florian «, flüsterte Sansa. Ein Schauer durchlief sie.
»Holde Dame, lasst mich Euer Florian sein«, sagte Dontos demütig und fiel vor ihr auf die Knie.
Langsam senkte Sansa das Messer. Ihr Kopf fühlte sich auf schreckliche Weise leicht an, als würde sie schweben. Das ist doch verrückt, mich diesem Trunkenbold anzuvertrauen, aber wenn ich mich jetzt abwende, bekomme ich eine solche Chance dann jemals wieder? »Wie … wie wollt Ihr es anstellen? Mich von hier fortzubringen?«
Ser Dontos blickte zu ihr auf. »Euch aus der Burg zu schaffen wird das Schwerste sein. Nachdem Ihr erst einmal draußen seid, gibt es Schiffe, die Euch heimbringen würden. Ich brauche nur das Geld aufzutreiben und ein paar Absprachen zu treffen, das ist alles.«
»Können wir sofort aufbrechen?«, fragte sie und wagte es nicht zu hoffen.
»Heute Nacht? Nein, Mylady, ich fürchte, nein. Zuerst müssen wir einen sicheren Weg aus der Burg finden. Das wird nicht leicht, und es wird seine Zeit in Anspruch nehmen. Auch mich hält man unter Beobachtung.« Er leckte sich
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