Das Lied von Eis und Feuer 04 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 04 - A Clash of Kings (Pages 332-728)
Dany.
»Nehmt wenigstens mich mit«, drängte Ser Jorah. »Das Risiko …«
»Königin Daenerys darf nur allein eintreten oder gar nicht.« Der Hexenmeister Pyat Pree kam unter den Bäumen hervor. War er schon die ganze Zeit dort? , fragte sich Dany. »Sollte sie jetzt umkehren, werden die Türen der Weisheit ihr für alle Zeiten verschlossen bleiben.«
»Meine Lustbarke wartet noch immer auf Euch«, rief Xaro Xhoan Daxos. »Lasst von diesem Unsinn ab, oh sturköpfigste aller Königinnen. Ich habe Flötenspieler, die Eure gepeinigte Seele mit ihrer süßen Musik trösten werden, und ein kleines Mädchen, dessen feine Stimme Euch dahinschmelzen lässt und Euch Seufzer entlockt.«
Ser Jorah Mormont warf dem Handelsherrn einen säuerlichen Blick zu. »Euer Gnaden, erinnert Euch an Mirri Maz Duur.«
»Das tue ich«, sagte Dany, plötzlich sehr entschieden. »Ich erinnere mich an ihr Wissen. Und sie war nur eine Maegi.«
Pyat Pree lächelte dünn. »Das Kind spricht so weise wie ein altes Weib. Nehmt meinen Arm, und lasst mich Euch führen. «
»Ich bin kein Kind.« Trotzdem nahm Dany den angebotenen Arm.
Unter den schwarzen Bäumen war es dunkler, als sie vermutet hatte, und der Weg war weiter. Obwohl der Pfad von
der Straße zur Tür des Palastes geradeaus zu führen schien, bog Pyat Pree bald ab. Sie fragte ihn nach dem Grund, und der Hexenmeister antwortete: »Der vordere Eingang führt hinein, aber niemals wieder heraus. Achtet auf meine Worte, meine Königin. Das Haus der Unsterblichen wurde nicht für die Sterblichen erschaffen. Falls Ihr Eure Seele schätzt, passt gut auf und tut genau, was ich Euch sage.«
»Das werde ich tun«, versprach Dany.
»Sobald Ihr eintretet, werdet Ihr Euch in einem Raum mit vier Türen wiederfinden: die eine, durch die Ihr gekommen seid, und drei andere. Wählt die Tür zu Eurer Rechten. Wählt stets die Tür zu Eurer Rechten. Solltet Ihr zu einer Treppe kommen, steigt sie hinauf. Geht niemals abwärts und nehmt keine andere Tür außer der jeweils Ersten zu Eurer Rechten. «
»Die Tür zu meiner Rechten«, wiederholte Dany. »Ich verstehe. Und wenn ich hinausgehe, mache ich es dann umgekehrt? «
»Auf keinen Fall«, sagte Pyat Pree. »Kommen und Gehen muss man durch die gleichen Türen. Immer nach oben. Immer die Tür zu Eurer Rechten. Andere Türen werden sich vielleicht für Euch öffnen. Dahinter werdet Ihr Dinge sehen, die Euch beunruhigen. Visionen der Liebe, Visionen des Schreckens, Wunder und Gräuel. Klänge und Anblicke vergangener Tage und kommender Tage und Tage, die niemals Wirklichkeit werden. Bewohner und Diener werden Euch vielleicht ansprechen. Antwortet ihnen oder auch nicht, ganz wie Ihr wünscht, doch betretet keinen Raum, bis Ihr den Audienzsaal erreicht habt.«
»Ich verstehe.«
»Wenn Ihr im Saal der Unsterblichen angekommen seid, übt Euch in Geduld. Unsere kleinen Leben bedeuten ihnen kaum mehr als das Flattern einer Motte. Hört genau zu, schreibt Euch jedes Wort ins Herz.«
Als sie die Tür erreichten – ein hoher ovaler Mund in einer
Wand, die dem Gesicht eines Menschen ähnelte –, wartete dort der kleinste Zwerg, den Dany je gesehen hatte. Er reichte ihr kaum bis zum Knie, sein Gesicht war spitz und verkniffen und wie eine Schnauze verzogen, doch er war in eine wunderschöne Livree aus Purpur und Blau gekleidet, und seine winzigen rosigen Hände hielten ein silbernes Tablett. Darauf stand ein schlankes Kristallglas, das mit einer zähen blauen Flüssigkeit gefüllt war: Abendschatten, der Wein der Hexenmeister. »Nehmt und trinkt«, drängte Pyat Pree.
»Werden meine Lippen davon blau werden?«
»Ein einziges Glas wird Euch nur die Ohren öffnen und den Schleier vor Euren Augen auflösen, damit Ihr die Wahrheiten, die vor Euch ausgebreitet werden, sehen und hören könnt.«
Dany setzte das Glas an die Lippen. Der erste Schluck schmeckte faulig, wie Tinte und verdorbenes Fleisch, doch nachdem sie geschluckt hatte, schien der Trunk in ihr zum Leben zu erwachen. Sie spürte, wie er sich Tentakeln gleich in ihrer Brust ausbreitete und mit Fingern aus Feuer ihr Herz umklammerte, und der Geschmack auf ihrer Zunge war wie Honig und Anis und Sahne, wie Muttermilch und Drogos Samen, wie rotes Fleisch und heißes Blut und geschmolzenes Gold. Es war wie jeder Geschmack, den sie je kennengelernt hatte, und gleichzeitig wie keiner von ihnen … und dann war das Glas leer.
»Jetzt dürft Ihr eintreten«, sagte der Hexenmeister. Dany stellte das Glas
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