Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell
Mann gefallen. Es sind nicht nur die Deserteure. Sie verlieren auch Männer auf den Patrouillen.«
»Sind es die Wildlinge?«, fragte sie.
»Wer sonst?« Ned hob Eis an, blickte am kühlen Stahl entlang. »Und es wird noch schlimmer werden. Es könnte der Tag kommen, an dem ich keine andere Wahl habe, als zu den Fahnen zu rufen und gen Norden zu reiten, um ein für alle Mal mit diesem König-jenseits-der-Mauer aufzuräumen.«
»Jenseits der Mauer?« Der Gedanke ließ Catelyn erschauern.
Ned sah das Grauen auf ihrem Gesicht. »Von Manke Rayder haben wir nichts zu befürchten.«
»Es gibt finsterere Dinge jenseits der Mauer.« Sie drehte sich dem Herzbaum zu, der fahlen Rinde und dem roten Gesicht, das dort schaute, lauschte und seine langen, langsamen Gedanken dachte.
Ned lächelte milde. »Ihr hört der Alten Nan zu oft bei ihren Märchen zu. Die Anderen sind tot wie die Kinder des Waldes, achttausend Jahre schon. Maester Luwin wird Euch erklären, dass sie nie gelebt haben. Kein Lebender hat je einen von ihnen gesehen.«
»Bis heute Morgen hatte auch kein Lebender je einen Schattenwolf gesehen«, erinnerte ihn Catelyn.
»Ich sollte klug genug sein, nicht mit einer Tully zu streiten«, sagte er mit reuigem Lächeln. Er schob Eis in die Scheide zurück. »Doch Ihr seid nicht gekommen, um mir Ammenmärchen zu erzählen. Ich weiß, wie sehr Ihr diesen Ort sonst meidet. Was gibt es, Mylady?«
Catelyn nahm ihres Gatten Hand. »Heute kam traurige Nachricht, Mylord. Ich wollte Euch nicht behelligen, bevor Ihr Euch gereinigt hattet.« Es gab keine Möglichkeit, den Schlag zu mildern, daher sagte sie es rundheraus. »Es tut mir so leid, Geliebter. Jon Arryn ist tot.«
Seine Augen suchten sie, und sie konnte sehen, wie hart es ihn traf, ganz wie sie es gewusst hatte. In seiner Jugend war Ned auf Hohenehr großgezogen worden, und der kinderlose Lord Arryn war ihm und seinem Mitmündel Robert Baratheon ein zweiter Vater geworden. Als der Irre König, Aerys II. Targaryen, ihre Köpfe forderte, hatte der Lord über Hohenehr lieber seine Banner mit Mond und Falke zur Revolte aufgenommen, als jene aufzugeben, die zu schützen er geschworen hatte.
Und eines Tages vor fünfzehn Jahren war sein zweiter Vater ihm auch noch zum Bruder geworden, als er und Ned gemeinsam in der Septe von Schnellwasser standen, um zwei Schwestern zu ehelichen, die Töchter des Lord Hoster Tully.
»Jon …«, sagte er. »Ist dieser Nachricht zu vertrauen?«
»Es war das Siegel des Königs, und der Brief ist in Roberts eigener Handschrift verfasst. Er sagte, es habe Lord Arryn schnell dahingerafft. Selbst Maester Pycelle sei hilflos gewesen, aber er habe ihm Mohnblumensaft gebracht, sodass Jon nicht lange leiden musste.«
»Das ist nur ein kleiner Trost«, sagte er. Sie konnte den Schmerz auf seinem Gesicht sehen, doch selbst jetzt dachte er zuerst an sie. »Deine Schwester«, sagte er. »Und Jons Junge. Hast du von ihnen gehört?«
»Die Nachricht besagt nur, es ginge ihnen gut und sie seien
wieder auf der Ehr«, antwortete Catelyn. »Ich wünschte, sie wären nach Schnellwasser gegangen. Die Ehr liegt hoch und einsam, und schon immer war ihr Mann dort zu Hause, nicht sie. Jeder Stein wird sie an Lord Jon erinnern. Ich kenne meine Schwester. Sie braucht den Trost von Familie und Freunden. «
»Ihr Onkel erwartet sie im Grünen Tal, oder nicht? Wie ich gehört habe, hat Jon ihn zum Ritter der Pforte gemacht.«
Catelyn nickte. »Brynden wird alles für sie tun, was in seiner Macht steht, und auch für den Jungen. Das ist tröstlich, dennoch …«
»Geht zu ihr«, drängte Ned. »Nehmt die Kinder mit. Erfüllt ihre Säle mit Lärm und Geschrei und Gelächter. Ihr Junge braucht andere Kinder um sich, und Lysa sollte in ihrem Schmerz nicht allein sein.«
»Wenn ich nur könnte«, erwiderte Catelyn. »Der Brief enthielt noch andere Kunde. Der König kommt nach Winterfell, um Euch einen Besuch abzustatten.«
Es dauerte einen Moment, bis Ned ihre Worte begriff, doch als er sie dann verstand, verloren seine Augen ihre Düsternis. »Robert kommt hierher?« Als sie nickte, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.
Catelyn wünschte, sie hätte seine Freude teilen können. Doch hatte sie gehört, was man auf den Burghöfen tuschelte: ein toter Schattenwolf im Schnee, mit einem gebrochenen Geweih in der Kehle. Angst rollte sich wie eine Schlange in ihr zusammen, doch zwang sie sich, diesen Mann anzulächeln, den sie liebte und der nicht an
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