Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell
würde die hochherzige und mitfühlende Witwe Mitleid zeigen, den armen Unglückseligen auf die Beine heben und ihm einen sanften Kuss der Vergebung auf die Wange hauchen. Der Gute König Joffrey hätte keine andere Wahl, als ihn zu begnadigen.« Der Eunuch strich mit der Hand über seine Wange. »Oder vielleicht würde Cersei ihm den Kopf von Ser Ilyn abschlagen lassen. So wäre für die Lennisters das Risiko geringer, wenn auch eine unangenehme Überraschung für ihren kleinen Freund.«
Ned spürte, wie Wut in ihm aufstieg. »Ihr wusstet von dieser Verschwörung, und doch habt Ihr nichts getan.«
»Ich befehlige Lauscher, keine Krieger.«
»Ihr hättet früher zu mir kommen können.«
»O ja, ich gestehe. Und Ihr wäret auf direktem Wege zum König gelaufen, ja? Und wenn Robert von der Gefahr erfahren hätte, was hätte er dann getan? Das frage ich mich.«
Ned dachte darüber nach. »Er hätte sie allesamt zum Teufel gewünscht und dennoch gekämpft, um zu zeigen, dass er sich nicht fürchtet.«
Varys breitete die Arme aus. »Ich werde Euch ein weiteres Geständnis machen, Lord Eddard. Ich war neugierig zu sehen, was Ihr tun würdet. Warum seid Ihr nicht zu mir gekommen?, fragt Ihr, und ich muss antworten: Weil ich Euch nicht vertraut habe, Mylord.«
»Ihr habt mir nicht vertraut?« Ned war nun erst recht erstaunt.
»Im Roten Bergfried leben zwei Sorten von Menschen, Lord Eddard«, erklärte Varys. »Jene, die dem Reich gegenüber loyal sind, und jene, die nur sich selbst gegenüber
Loyalität empfinden. Bis zum heutigen Morgen konnte ich nicht sagen, was Ihr wäret … also habe ich gewartet … und nun weiß ich es ganz sicher.« Er lächelte ein unverblümtes, schmales, kleines Lächeln, und einen Moment lang waren sein privates Gesicht und seine öffentliche Maske eins. »Langsam verstehe ich, warum die Königin Euch so fürchtet. O ja, ich verstehe es.«
»Ihr seid es, den sie fürchten sollte«, sagte Ned.
»Nein. Ich bin, was ich bin. Der König nutzt meine Dienste, doch schämt er sich dessen. Ein wirklich machtvoller Krieger ist unser Robert, und ein derart mannhafter Mann empfindet nur wenig Liebe für Leisetreter und Spione und Eunuchen. Sollte der Tag kommen, an dem Cersei flüstert: ›Töte diesen Mann‹, schneidet mir Ilyn Payne im Handumdrehen den Kopf ab, und wer wird schon um den armen Varys trauern? Weder im Norden noch im Süden singt man den Spinnen Lieder.« Er berührte Ned mit seiner weichen Hand. »Doch Ihr, Lord Stark … ich glaube … nein, ich weiß … Euch würde er nicht töten, nicht einmal für seine Königin, und darin könnte unsere Rettung liegen.«
Das alles war zu viel. Einen Moment lang wünschte sich Eddard Stark nichts so sehr wie eine baldige Rückkehr nach Winterfell, in den schlichten Norden, wo der Feind der Winter war und die Wildlinge jenseits der Mauer blieben. »Sicher hat Robert noch andere loyale Freunde«, wandte er ein. »Seine Brüder, seine …«
»… Frau?«, beendete Varys die Frage mit schneidendem Lächeln. »Seine Brüder hassen die Lennisters, das stimmt, doch ist es nicht ganz dasselbe, die Königin zu hassen und den König zu lieben, nicht wahr? Ser Barristan liebt seine Ehre, Groß-Maester Pycelle liebt sein Amt, und Kleinfinger liebt Kleinfinger.«
»Die Königsgarde …«
»Ein papierner Schild«, sagte der Eunuch. »Versucht, nicht so erschrocken auszusehen, Lord Stark. Jaime Lennister ist selbst ein Waffenbruder der Weißen Schwerter, und wir wissen
alle, was sein Eid wert ist. Die Zeiten, in denen Männer wie Ryam Rothweyn und Prinz Aemon, der Drachenritter, den weißen Umhang trugen, sind zu Staub und Liedern geworden, nur noch Ser Barristan Selmy ist aus echtem Stahl gemacht, und Selmy ist alt. Ser Boros und Ser Meryn sind bis ins Mark Kreaturen der Königin, und den anderen gegenüber hege ich tiefes Misstrauen. Nein, Mylord, wenn die Schwerter im Ernst gezogen werden, seid Ihr der einzig wahre Freund, den Robert Baratheon noch hat.«
»Man muss es Robert sagen«, meinte Ned. »Falls, was Ihr sagt, der Wahrheit entspricht, muss der König selbst es hören. «
»Und welchen Beweis könnten wir ihm liefern? Mein Wort gegen das der anderen? Meine kleinen Vögelchen gegen die Königin und den Königsmörder, gegen seine Brüder und seinen Rat, gegen die Wächter des Ostens und Westens, gegen die Macht von Casterlystein? Seid so gut und lasst lieber gleich Ser Ilyn rufen, das spart uns viel Zeit. Ich weiß, wo diese Straße
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