Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell
seinem Tonfall hören. »Wie können wir heimkehren, süßes Schwesterchen? Sie haben uns unser Heim genommen! « Er zog sie in den Schatten, wo sie nicht zu sehen waren. Seine Finger bohrten sich in ihre Haut. »Wie können wir heimkehren?« , wiederholte er und meinte Königsmund und Drachenstein und das ganze Reich, das sie verloren hatten.
Dany hatte nur ihre Zimmer in Illyrios Anwesen gemeint, wahrlich kein echtes Heim, wenn auch alles, was sie hatten, doch davon wollte ihr Bruder nichts hören. Das war nicht
sein Heim. Fest gruben sich seine Finger in ihren Arm, forderten Antwort. »Ich weiß es nicht …«, sagte sie schließlich mit gebrochener Stimme. Tränen traten in ihre Augen.
»Aber ich«, sagte er scharf. »Wir kehren mit einer ganzen Armee heim. Mit Khal Drogos Armee, so kehren wir heim. Und wenn du ihn dafür heiraten und sein Bett teilen musst, dann wirst du es tun.« Er lächelte sie an. »Ich würde dich von seinem ganzen Khalasar ficken lassen, wenn es sein müsste, süßes Schwesterchen, von allen vierzigtausend Mann, und von ihren Pferden auch, wenn ich dafür meine Armee bekäme. Sei dankbar, dass es nur Drogo ist. Mit der Zeit wirst du ihn vielleicht sogar mögen. Jetzt wisch dir die Tränen ab. Illyrio führt ihn hierher, und er wird dich nicht weinen sehen.«
Dany drehte sich um. Es stimmte. Magister Illyrio, der nur noch aus Lächeln und Verbeugungen zu bestehen schien, begleitete Khal Drogo zu ihnen. Mit dem Handrücken strich sie die letzten ungeweinten Tränen fort.
»Lächeln«, flüsterte Viserys aufgeregt, und seine Hand suchte das Heft des Schwertes. »Und richte dich auf. Lass ihn sehen, dass du Brüste hast. Und bei allen Göttern, davon hast du wenig genug.«
Daenerys lächelte und richtete sich auf.
EDDARD
Wie ein reißender Fluss von Gold und Silber und poliertem Stahl strömten die Besucher durch die Tore der Burg, dreihundert Mann, eine Pracht von Vasallen und Rittern, von Gefolgsmännern und freien Rittersleuten. Über ihren Köpfen peitschte ein Dutzend goldener Banner im Nordwind hin und her, verziert mit dem gekrönten Hirschen von Baratheon.
Ned kannte viele der Reiter. Dort kam Ser Jaime Lennister mit Haar so hell wie Blattgold, und dort Sandor Clegane mit seinem grauenhaft verbrannten Gesicht. Der große Junge neben ihm konnte nur der Kronprinz sein, und dieser verkrüppelte, kleine Mann an seiner Seite war sicher der Gnom Tyrion Lennister.
Doch der mächtige Mann an der Spitze der Kolonne, flankiert von zwei Rittern in den schneeweißen Umhängen der Königsgarde, erschien Ned fast wie ein Fremder … bis er mit altbekanntem Aufschrei vom Rücken seines Pferdes sprang und ihn mit knochenberstender Umarmung an sich drückte. »Ned! Wie gut es tut, dein gefrorenes Gesicht zu sehen.« Der König musterte ihn von oben bis unten und lachte. »Du hast dich nicht verändert.«
Hätte Ned nur dasselbe sagen können … Vor fünfzehn Jahren, als sie aufgebrochen waren, um einen Thron zu erobern, war der Lord von Sturmkap glatt rasiert gewesen, klaren Blickes und muskulös wie der Traum junger Mädchen. Mit seinen sechseinhalb Fuß Größe überragte er die anderen Männer, aber wenn er seine Rüstung anlegte und den großen, geweihbesetzten Helm seiner Familie aufsetzte, wurde
er zum wahren Riesen. Und Riesenkräfte besaß er auch. Seine Lieblingswaffe war ein dornbesetzter, eiserner Streithammer, den Ned kaum heben konnte. In jenen Tagen damals hatten ihn Leder und Blut wie Duftwasser eingehüllt.
Nun war es Duftwasser, das ihn wie Duftwasser einhüllte, und sein Umfang entsprach seiner Größe. Zuletzt hatte Ned den König vor neun Jahren während Balon Graufreuds Rebellion gesehen, als sich Hirsch und Schattenwolf getroffen hatten, um den Ansprüchen des selbst ernannten Königs der Eiseninseln ein Ende zu bereiten. Seit jenem Abend, als sie Seite an Seite in Graufreuds gefallener Festung standen, in welcher Robert die Kapitulation des rebellischen Lords entgegennahm und Ned dessen Sohn Theon als Geisel und Mündel bekam, hatte der König erheblich zugelegt. Ein Bart – grob und schwarz wie Eisendraht – bedeckte sein Gesicht, um das Doppelkinn und die hängenden, königlichen Wangen zu verhüllen, doch nichts konnte den Wanst oder die dunklen Ringe unter seinen Augen verbergen.
Aber heute war Robert Neds König und nicht mehr nur ein Freund, und daher sagte er: »Majestät, Winterfell ist Euer.«
Mittlerweile stiegen auch die anderen ab, und Stallburschen
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