Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell
jedoch niemals erdreisten, ihn dafür zu schelten.«
Viserys wurde zornig. »Hütet Eure Zunge, Mormont, sonst lasse ich sie herausschneiden. Ich bin kein Untertan, ich bin der rechtmäßige Herr der Sieben Königslande. Der Drache bettelt nicht.«
Respektvoll senkte Ser Jorah seinen Blick. Illyrio lächelte geheimnisvoll und riss der Ente einen Flügel aus. Honig und Öl liefen über seine Finger und tropften in seinen Bart, als er am zarten Fleisch nagte. Es gibt keine Drachen mehr, dachte Dany, während sie ihren Bruder anstarrte, doch wagte sie nicht, es laut zu sagen.
Dennoch träumte sie in dieser Nacht von einem solchen. Viserys schlug sie, tat ihr weh. Sie war nackt, unbeholfen in
ihrer Angst. Sie floh vor ihm, doch ihr Leib wirkte dick und linkisch. Wieder schlug er sie. Sie stolperte und fiel. »Du hast den Drachen geweckt«, schrie er, als er nach ihr trat. »Du hast den Drachen geweckt, du hast den Drachen geweckt.« Ihre Schenkel glänzten vom Blut. Sie schloss die Augen und wimmerte. Wie zur Antwort hörte sie ein grauenvolles Reißen und das Knistern eines großen Feuers. Als sie wieder hinsah, war Viserys fort, Rauchsäulen stiegen überall auf, und mittendrin stand der Drache. Langsam wandte er den Kopf. Als seine geschmolzenen Augen sie fanden, erwachte sie, bebend und von feinem Schweiß überzogen. Nie zuvor hatte sie sich so gefürchtet …
… bis zu dem Tag, an dem schließlich ihre Hochzeit stattfand.
Die Zeremonie begann im Morgengrauen und dauerte bis in die Abenddämmerung, ein endloser Tag des Trinkens und Feierns und Kämpfens. Eine mächtige, irdene Rampe war inmitten der Graspaläste errichtet worden, und auf dieser saß Dany neben Khal Drogo über dem brodelnden Meer der Dothraki. Weder hatte sie je zuvor so viele Menschen an einem Ort gesehen noch welche, die ihr so fremd und furchterregend vorgekommen waren. Die Reiterlords mochten prunkvolle Stoffe und schwere Duftwässer anlegen, wenn sie die Freien Städte besuchten, doch draußen unter freiem Himmel wahrten sie die alten Traditionen. Männer und Frauen gleichermaßen trugen bemalte Lederwesten auf nackter Brust und Hosen aus Pferdehaar, die von Gürteln mit bronzenen Medaillons gehalten wurden, und die Krieger ölten ihre langen Zöpfe mit Fett ein. Sie schlangen mit Honig und Paprika geröstetes Pferdefleisch in sich hinein, tranken bis zum Vollrausch gegorene Stutenmilch und Illyrios feine Weine und spuckten einander Scherze übers Feuer zu, mit Stimmen, die für Danys Ohren harsch und fremdartig klangen.
Viserys saß gleich unter ihr, prächtig anzusehen in einem neuen, schwarzen Wollrock mit einem roten Drachen auf der Brust. Illyrio und Ser Jorah saßen an seiner Seite. Es war ein
Platz von hohen Ehren, gleich unterhalb der Blutreiter des Khal, doch Dany sah den Zorn in den veilchenblauen Augen ihres Bruders. Es gefiel ihm nicht, unter ihr zu sitzen, und er schäumte, wenn die Diener jedes Gericht erst dem Khal und seiner Braut anboten und ihn von den Portionen bedienten, die sie abgelehnt hatten. Es blieb ihm nichts weiter, als seinen Groll zu pflegen, und so pflegte er seinen Groll, und seine Laune wurde stündlich und mit jeder Beleidigung seiner Person düsterer.
Noch niemals hatte sich Dany so allein gefühlt wie inmitten dieser unübersehbaren Horde. Ihr Bruder hatte ihr gesagt, sie solle lächeln, und also lächelte sie, bis ihr das Gesicht schmerzte und die Tränen ihr ungebeten in die Augen traten. Sie gab ihr Bestes, um sie zu verbergen, da sie wusste, wie böse Viserys wäre, wenn er sie weinen sähe, und sie hatte schreckliche Angst davor, wie Khal Drogo darauf reagieren mochte. Man brachte ihr Speisen, dampfende Braten, dicke, schwarze Würste und dothrakische Blutpasteten, später Früchte und Eintopf von süßem Gras und köstliches Gebäck aus den Küchen von Pentos, doch winkte sie bei allem ab. Ihr Magen war in Aufruhr, und sie wusste, dass sie nichts von alledem würde bei sich behalten können.
Niemand war da, mit dem sie reden konnte. Khal Drogo rief Befehle und Scherze zu seinen Blutreitern hinab und lachte über ihre Antworten, doch warf er Dany neben sich kaum einen Blick zu. Sie sprachen nicht dieselbe Sprache. Dothraki war ihr unverständlich, und der Khal kannte nur wenige Worte des verfälschten Valyrisch der Freien Städte und rein gar nichts von der Gemeinen Zunge der Sieben Königslande. Gern hätte sie an dem Gespräch ihres Bruders mit Illyrio teilgehabt, doch waren sie zu weit unter
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