Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell
Illyrio. »Die Sitte verlangt, dass die Khaleesi ein Pferd reiten muss, das ihrer Stellung an der Seite des Khal entspricht.«
Drogo trat vor und legte seine Hände um ihre Hüften. Er hob sie so leicht an, als wäre sie ein Kind, und setzte sie auf den schmalen, dothrakischen Sattel, der um so vieles kleiner war als alle, die sie gewohnt war. Unsicher saß Dany einen Moment lang da. Von diesem Teil hatte ihr niemand erzählt. »Was soll ich tun?«, fragte sie Illyrio.
Es war Ser Jorah Mormont, der antwortete. »Nehmt die Zügel und reitet. Es muss nicht weit sein.«
Unsicher sammelte Dany die Zügel ein und schob ihre Füße in die kurzen Steigbügel. Sie war nur eine mäßige Reiterin. Sie war weit öfter mit Schiff und Wagen und Palankin gereist als auf einem Pferderücken. Sie betete, dass sie nicht herunterfallen und sich der Lächerlichkeit preisgeben möge, und ließ das Fohlen die denkbar leichteste und ängstlichste Berührung mit den Waden spüren.
Und zum ersten Mal seit Stunden vergaß sie, sich zu fürchten. Oder vielleicht auch zum ersten Mal überhaupt.
Das silbergraue Fohlen setzte sich mit weichem und seidigem Gang in Bewegung, und die Menge teilte sich vor ihr, alle Augen ganz auf sie gerichtet. Dany merkte, dass sie schneller ritt, als es ihre Absicht gewesen war, dennoch war es eher aufregend als furchteinflößend. Das Pferd fiel in
Trab, und sie lächelte. Dothraki drängten sich zur Seite, um ihr Platz zu machen. Der leiseste Druck mit den Beinen, die leichteste Bewegung an den Zügeln, und das Fohlen reagierte. Sie ließ es galoppieren, und nun johlten und lachten die Dothraki und feuerten sie an, wenn sie vor ihr aus dem Weg sprangen. Als sie wendete, um zurückzureiten, sah sie vor sich eine Feuerstelle direkt auf ihrem Weg. Die Menschen drängten sich zu beiden Seiten, und es war kein Platz zum Stehenbleiben. Da wurde Daenerys plötzlich von einem nie gekannten Wagemut erfüllt, und sie zeigte dem Fohlen, was sie wollte.
Das silberne Pferd übersprang die Flammen, als hätte es Flügel.
Als sie vor Magister Illyrio zum Stehen kam, sagte sie: »Sagt Khal Drogo, dass er mir den Wind geschenkt hat.« Der fette Pentosi strich über seinen gelben Bart, als er die Worte ins Dothrakische übersetzte, und Dany sah ihren neuen Gatten zum ersten Mal lächeln.
In diesem Augenblick verging der letzte Sonnenstrahl hinter den hohen Mauern von Pentos. Dany hatte jegliches Gefühl für die Zeit verloren. Khal Drogo befahl seinen Blutreitern, sein Pferd zu bringen, einen schlanken, roten Hengst. Während der Khal das Pferd sattelte, trat Viserys nah an seine Schwester heran, grub seine Finger in ihr Bein und zischte ihr zu: »Bereite ihm Freude, Schwesterchen, oder ich schwöre dir, du wirst erleben, dass der Drache erwacht, wie er noch nie erwacht ist.«
Da kehrte die Angst zu ihr zurück bei den Worten ihres Bruders. Wieder fühlte sie sich wie ein Kind, erst dreizehn und ganz allein, nicht bereit für das, was ihr geschehen würde.
Gemeinsam ritten sie davon, als die Sterne herauskamen, ließen das Khalasar und die Graspaläste hinter sich. Khal Drogo sagte kein Wort zu ihr, doch trieb er seinen Hengst im schnellen Trab durch die herabsinkende Dämmerung. Die winzigen Silberglöckchen in seinem langen Zopf läuteten leise.
»Ich bin das Blut des Drachen«, flüsterte sie laut, da sie ihm folgte, und versuchte, sich Mut zu machen. »Ich bin das Blut des Drachen. Ich bin das Blut des Drachen.« Der Drache fürchtete sich niemals.
Später konnte sie nicht mehr sagen, wie weit oder wie lange sie geritten waren, doch herrschte Dunkelheit, als sie auf einer Wiese neben einem kleinen Bach Halt machten. Drogo schwang sich von seinem Pferd und hob sie von ihrem. In seinen Händen fühlte sie sich zerbrechlich wie Glas, ihre Glieder waren wie Wasser. Hilflos und zitternd stand sie in ihrer Hochzeitsseide da, während er die Pferde sicherte, und als er sich zu ihr umdrehte, fing sie an zu weinen.
Khal Drogo starrte auf ihre Tränen, seine Miene seltsam ausdruckslos. »Nein«, sagte er. Er hob die Hand und wischte die Tränen grob mit schwieligem Daumen fort.
»Ihr sprecht die Gemeine Zunge«, fragte Dany verwundert.
»Nein«, sagte er noch einmal.
Vielleicht kannte er nur das eine Wort, so dachte sie, doch war es ein Wort mehr, als sie erwartet hatte, und in gewisser Weise fühlte sie sich dadurch besser. Drogo berührte sanft ihr Haar, ließ die silberblonden Strähnen durch seine Finger gleiten und
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