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Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell

Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell

Titel: Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R R Martin
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nicht.«
    Früher einmal hätte es ihn in die Flucht geschlagen. Früher einmal hätte es ihn vielleicht sogar zum Weinen gebracht. Nun machte es ihn nur wütend. Bald schon würde er ein Bruder der Nachtwache sein und sich weit schlimmeren Bedrohungen als Catelyn Tully Stark stellen müssen. »Er ist mein Bruder«, sagte er.
    »Soll ich die Wache rufen?«
    »Ruft sie«, gab Jon trotzig zurück. »Ihr könnt mich nicht daran hindern, ihn zu besuchen.« Er ging quer durch das Zimmer, ließ das Bett zwischen ihnen und sah auf Bran herab, der dort lag.
    Sie hielt seine Hand. Sie sah aus wie eine Klaue. Das war nicht der Bran, an den er sich erinnerte. Alles Fleisch war von ihm gefallen. Seine Haut spannte sich straff über Knochen, die wie Zweige waren. Unter der Decke spreizten sich die Beine auf eine Art und Weise ab, dass Jon ganz übel wurde. Seine Augen waren in tiefen, schwarzen Löchern versunken, offen, doch leer. Der Sturz hatte ihn irgendwie schrumpfen lassen. Halb sah er wie ein Blatt aus, das der erste harte Windhauch ins Grab wehen könnte.
    Doch unter dem zerbrechlichen Korb dieser zertrümmerten Rippen hob und senkte sich seine Brust mit jedem flachen Atemzug.
    »Bran«, sagte er, »es tut mir leid, dass ich nicht früher gekommen bin. Ich hatte Angst davor.« Er fühlte, dass ihm Tränen
über die Wangen liefen. Das war Jon jetzt egal. »Stirb nicht, Bran. Bitte. Wir alle warten, dass du wieder aufwachst. Ich und Robb und die Mädchen, alle …«
    Lady Stark beobachtete ihn. Sie hatte die Wache nicht gerufen. Jon verstand es als Einwilligung. Draußen vor dem Fenster heulte wieder der Schattenwolf. Der Wolf, dem Bran noch keinen Namen gegeben hatte.
    »Ich muss jetzt gehen«, fuhr Jon fort. »Onkel Benjen wartet. Ich gehe in den Norden an die Mauer. Wir müssen heute noch aufbrechen, bevor der Schnee kommt.« Er dachte daran, wie aufgeregt Bran über die Aussicht auf seine Reise gewesen war. Das war mehr, als er ertragen konnte, der Gedanke daran, ihn so zurücklassen zu müssen. Jon wischte seine Tränen fort, beugte sich vor und küsste seinen Bruder leicht auf die Lippen.
    »Ich wollte, dass er hier bei mir bleibt«, sagte Lady Stark sanft.
    Jon betrachtete sie argwöhnisch. Sie sah ihn nicht einmal an. Sie sprach mit ihm, doch es war, als wäre ein Teil von ihr nicht einmal in diesem Raum.
    »Ich habe darum gebetet«, sagte sie müde. »Er war mein Liebling. Ich war in der Septe und habe sieben Mal zu den Sieben Gesichtern Gottes gebetet, dass Ned es sich noch einmal überlegt und ihn hier bei mir lässt. Manchmal werden Gebete erhört.«
    Jon wusste nicht, was er sagen sollte. »Es war nicht Eure Schuld«, brachte er nach drückendem Schweigen hervor.
    Ihre Augen suchten ihn. Sie waren voller Gift. »Ich brauche deine Absolution nicht, Bastard.«
    Jon senkte seinen Blick. Sie hielt eine von Brans Händen. Er nahm die andere und drückte sie. Finger kalt wie Vogelknochen. »Leb wohl«, sagte er.
    Er war schon an der Tür, als sie ihn zurückrief. »Jon«, sagte sie. Er hätte weitergehen sollen, doch hatte sie ihn vorher noch nie beim Namen gerufen. Er drehte sich um, und sie blickte ihm ins Gesicht, als sähe sie ihn zum ersten Mal.

    »Ja?«, sagte er.
    »Du solltest an seiner Stelle sein«, erklärte sie. Dann wandte sie sich wieder Bran zu und begann zu weinen, dass ihr ganzer Leib vom Schluchzen erschüttert wurde. Jon hatte sie noch niemals weinen gesehen.
    Es war ein langer Weg zum Hof hinunter.
    Draußen war Lärm und großes Durcheinander. Wagen wurden beladen, Männer riefen Befehle, Pferde wurden angespannt und gesattelt und aus den Ställen geführt. Leichter Schneefall hatte eingesetzt, und alle waren in Aufruhr wegen der Reise.
    Robb stand mittendrin, brüllte seine Kommandos so gut wie alle anderen. Er schien in letzter Zeit gewachsen zu sein, als hätten Brans Sturz und der Zusammenbruch seiner Mutter ihn irgendwie gestärkt. Grauwind war an seiner Seite.
    »Onkel Benjen sucht dich«, erklärte er Jon. »Er wollte schon vor einer Stunde aufbrechen.«
    »Ich weiß«, sagte Jon. »Bald.« Er sah sich im Lärm und Durcheinander um. »Der Abschied fällt mir schwerer, als ich dachte.«
    »Mir auch«, sagte Robb. Er hatte Schnee im Haar, das von seiner Körperwärme schmolz. »Warst du bei ihm?«
    Jon nickte, traute sich nicht zu sprechen.
    »Er wird nicht sterben«, versicherte ihm Robb. »Ich weiß es.«
    »Ihr Starks seid schwer zu töten«, gab Jon ihm Recht. Seine Stimme klang

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