Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell
doch seine Gefühle für mich waren … mehr als brüderlich. Als verkündet wurde, dass ich Brandon Stark heiraten
sollte, forderte Petyr ihn zum Kampf um das Recht auf meine Hand heraus. Es war Irrsinn. Brandon war zwanzig, Petyr kaum fünfzehn. Ich musste Brandon anflehen, Petyrs Leben zu schonen. Er ließ ihn mit einer Narbe entkommen. Danach schickte mein Vater ihn fort. Seither habe ich ihn nicht gesehen. « Sie hob ihr Gesicht der Gischt zu, als könne der frische Wind Erinnerungen verwehen. »Er hat mir nach Schnellwasser geschrieben, nachdem Brandon tot war, doch habe ich den Brief ungelesen verbrannt. Inzwischen wusste ich, dass Ned mich an seines Bruders Stelle heiraten würde.«
Erneut tasteten Ser Rodriks Finger nach dem nicht vorhandenen Backenbart. »Kleinfinger sitzt mittlerweile im Kleinen Rat.«
»Ich wusste, er würde es weit bringen«, sagte Catelyn. »Er war schon immer findig, schon als Junge, nur ist es eine Sache, findig zu sein, und eine andere, weise zu sein. Ich frage mich, was die Jahre aus ihm gemacht haben.«
Hoch über ihnen rief der Ausguck etwas aus der Takelage. Kapitän Moreo hastete übers Deck, gab Befehle, und überall um sie breitete sich hektisches Treiben auf der Sturmtänzer aus, als Königsmund auf seinen drei hohen Hügeln in Sicht kam.
Vor dreihundert Jahren, das wusste Catelyn, waren diese Hügel noch von Wald bedeckt gewesen, und nur eine Hand voll Fischer hatte an der Nordküste des Schwarzwassers gelebt, wo dieser tiefe, schnelle Fluss ins Meer mündete. Dann war Aegon der Eroberer von Drachenstein gekommen. Hier hatte er seine Armee zum ersten Mal an Land gebracht und dort auf dem höchsten Hügel seine erste grobe Schanze aus Holz und Erde errichtet.
Jetzt überzog die Stadt das Ufer so weit Catelyns Auge reichte. Wohnhäuser und Lauben und Kornkammern, steinerne Lagerhäuser und hölzerne Wirtshäuser und Händlerbuden, Tavernen und Friedhöfe und Bordelle, alles übereinandergestapelt. Sie konnte das Geschrei vom Fischmarkt selbst aus dieser Entfernung hören. Zwischen den Häusern
führten breite, von Bäumen gesäumte Straßen, gewundene, bucklige Gassen, die so schmal waren, dass zwei Männer kaum aneinander vorübergehen konnten. Visenyas Hügel war von der Großen Septe von Baelor mit ihren sieben Kristalltürmen gekrönt. Auf der anderen Seite der Stadt, auf dem Hügel von Rhaenys, standen die schwarzen Mauern der Drachenhöhle, deren mächtige Kuppel in sich zusammengebrochen war und deren bronzene Türen nun schon seit einem Jahrhundert verschlossen waren. Dazwischen verlief die Straße der Schwestern, schnurgerade. In der Ferne ragten die Stadtmauern auf, hoch und fest.
Einhundert Kais reihten sich im Hafen aneinander, und an ihnen drängten sich die Schiffe. Fischerboote und Kähne kamen und gingen, Fährmänner stakten über das Schwarzwasser hin und her, Handelsgaleeren entluden Lebensmittel aus Braavos und Pentos und Lys. Catelyn entdeckte die reich verzierte Barkasse der Königin, die neben einem dickbäuchigen Walfänger aus dem Hafen von Ibben vertäut lag, dessen Rumpf schwarz vom Teer war, während flussaufwärts ein Dutzend schlanker, goldener Kriegsschiffe auf Holzgerüsten ruhte, die Segel eingerollt, am Bug mit schrecklichen Eisenrammen bestückt, an die das Wasser schlug.
Und über allem ragte der Rote Bergfried auf, blickte finster von Aegons hohem Hügel herab: sieben mächtige Rundtürme, von eiserner Brustwehr gekrönt, ein riesenhaftes, grimmiges Vorwerk, große Gewölbe und überdachte Brücken, Kasernen und Verliese und Getreidespeicher, massive Zwischenmauern, besetzt mit Nestern für Bogenschützen, alles aus hellem, rotem Stein. Aegon der Eroberer hatte den Bau befohlen. Sein Sohn Maegor der Grausame hatte ihn fertig gestellt. Danach hatte er jeden einzelnen Steinmetz, Zimmermann und Maurer, der daran mitgearbeitet hatte, köpfen lassen. Nur das Blut des Drachen sollte je um die Geheimnisse dieser Festung wissen, welche die Drachenlords erbaut hatten, so lautete sein Schwur.
Doch inzwischen waren die Banner, die von ihren Zinnen
flatterten, golden, nicht schwarz, und wo einst der dreiköpfige Drachen Feuer spie, stolzierte nun der gekrönte Hirsch des Hauses Baratheon.
Ein langmastiges Schwanenschiff von den Sommerinseln kam gerade aus dem Hafen, die weißen Segel prall im Wind. Die Sturmtänzer zog an ihm vorüber, steuerte langsam das Ufer an.
»Mylady«, sagte Ser Rodrik, »während ich bettlägerig war, habe ich
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